05. Dezember, 2025

Wie das weichere Verbrenner-Ziel Mercedes, BMW und VW Zeit verschafft

Die EU rückt vom harten Verbrenner-Aus ab – deutsche Hersteller profitieren von ihren starken Hybrid- und Verbrennerportfolios, doch die Atempause hat hohe Kosten und klare Grenzen

Wie das weichere Verbrenner-Ziel Mercedes, BMW und VW Zeit verschafft
Brüssel rückt vom harten Verbrenner-Aus ab. Plug-in-Hybride boomen, deutsche Hersteller profitieren – doch die Technologie bleibt eine teure Übergangslösung.

Die neue Technologieoffenheit verändert die Spielregeln

Brüssel vollzieht einen bemerkenswerten Kurswechsel. Statt das faktische Aus für Verbrenner und Hybride ab 2035 durchzuziehen, will die EU nun auch danach Neuwagen zulassen, die nicht ausschließlich elektrisch fahren: Plug-in-Hybride, Range-Extender-Konzepte und Verbrenner, die mit Biokraftstoffen oder E-Fuels betrieben werden. Offiziell heißt das „Technologieoffenheit“, faktisch ist es eine Korrektur eines zu ambitionierten Zeitplans.

Der Hintergrund ist ernüchternd. Reine Elektroautos kommen in der EU bislang nur auf einen Marktanteil von 17 Prozent bei den Neuzulassungen. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist in Osteuropa und im Süden deutlich hinterher, günstige Einstiegsmodelle fehlen, viele Kunden fremdeln mit Design, Software und Praxisreichweite der Stromer. EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas spricht von einem „wirtschaftlich tragfähigen und sozial fairen“ Übergang – und öffnet damit die Tür für längere Übergangsfristen.

Deutsche Hersteller profitieren von ihrer starken Verbrenner- und Hybridbasis

Für die deutschen Hersteller ist dieser Kurswechsel ein Geschenk zur Unzeit – oder zur rechten Zeit, je nach Perspektive. Mercedes-Benz, BMW, Volkswagen und Audi erzielen in Europa einen überdurchschnittlichen Anteil ihres Absatzes mit Verbrennern und Plug-in-Hybriden. Über alle Marken hinweg machen Verbrenner in der EU noch 57 Prozent der Neuwagen aus. Bei den vier deutschen Volumen- und Premiummarken liegt dieser Anteil bei 60 bis 73 Prozent.

Besonders klar ist das Bild bei Plug-in-Hybriden. In den ersten zehn Monaten des Jahres entfielen mehr als 41 Prozent aller EU-weiten Plug-in-Verkäufe auf genau diese vier Marken. Kein anderer Hersteller verkauft in Europa so viele Plug-ins wie Mercedes, das allein auf einen Marktanteil von 23 Prozent kommt. BMW erzielt 18 Prozent seines Absatzes mit PHEVs, Volkswagen hat die Technik nach einer Pause wieder hochgefahren und die Verkäufe in der EU binnen eines Jahres um 280 Prozent auf knapp 90.000 Fahrzeuge gesteigert.

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Gleichzeitig liegen die Elektroquoten hinter den eigenen Ambitionen zurück. VW und Mercedes kommen in Europa auf 17 Prozent reine Stromer, BMW auf 22 Prozent. Angesichts von US-Zöllen, Preisdruck in China und schwacher Nachfrage in Europa verschafft die neue EU-Linie den Herstellern eine dringend benötigte Option: Sie können mit Verbrennern und Hybriden weiter Volumen machen, während sie ihre E-Strategie nachschärfen.

Plug-in-Hybride sind Wachstumsstory und Problemfall zugleich

Die Zahlen sprechen zunächst eine klare Sprache. In der EU ist in diesem Jahr kein Antrieb so stark gewachsen wie Plug-in-Hybride: Fast 800.000 Fahrzeuge wurden in den ersten zehn Monaten zugelassen, ein Plus von rund 30 Prozent. Reine Elektroautos legten im gleichen Zeitraum um 25 Prozent zu, klassische Verbrenner verzeichneten Rückgänge und halten mit 4,9 Millionen Neuzulassungen dennoch den Großteil des Marktes.

Für viele Käufer ist der „Antriebszwitter“ eine bequeme Lösung. Reichweitenangst und Ladesäulen-Frust spielen keine Rolle, gleichzeitig senkt der Elektromotor im Idealfall den Spritverbrauch. In Deutschland kommen steuerliche Vorteile für Dienstwagen hinzu, was PHEVs gerade in höheren Preissegmenten attraktiv macht. Diese Kombination – wohlhabende Kundschaft, hohe Listenpreise, steuerliche Anreize – passt perfekt zu Mercedes, BMW und den SUV-starken Portfolios der deutschen Hersteller.

Doch die Schattenseite ist ebenso klar. Viele Fahrer laden ihre Plug-ins im Alltag kaum. Das zusätzliche Gewicht durch zwei Antriebe erhöht den Verbrauch, der reale CO₂-Vorteil schrumpft. Laut ICCT benötigen Plug-in-Hybride im Flottenbetrieb nur rund 30 Prozent weniger Kraftstoff als reine Verbrenner. Über den gesamten Lebenszyklus stoßen sie etwa zweieinhalb Mal so viel CO₂ aus wie reine Stromer. Umweltverbände kritisieren sie als „elektrisch getarnte Spritschlucker“, die die Klimaziele eher verwässern als stützen.

Brüssel versucht den Spagat zwischen Klimaschutz und Industriepolitik

Die EU-Kommission will Plug-in-Hybride deshalb künftig nur unter Auflagen als faktische Null-Emissionsfahrzeuge anerkennen. Im Gespräch sind steuerliche Anreize, die direkt an das Nutzungsverhalten gekoppelt werden. Dienstwagenfahrer, die überwiegend mit dem Verbrenner unterwegs sind, könnten ihre Vorteile verlieren. Hersteller können über anonymisierte Daten auslesen, wie viele Kilometer ein Fahrzeug tatsächlich elektrisch zurücklegt.

Parallel wird über Geofencing diskutiert: In Städten sollen Plug-ins automatisch in den Elektromodus wechseln, während der Verbrenner nur auf Landstraße und Autobahn laufen darf. Damit würden Plug-in-Hybride in die Pflicht genommen, in den emissionssensiblen Zonen ihre eigentliche Rolle zu erfüllen.

Auf der politischen Bühne verschiebt sich gleichzeitig die Rhetorik. Kanzler Friedrich Merz drängt in Brüssel auf die Berücksichtigung „hocheffizienter Verbrenner“, inklusive Biokraftstoffe und E-Fuels. Brüsseler Beamte verweisen jedoch auf die Realität: Synthetische Kraftstoffe sind knapp und mit derzeit rund sieben Euro pro Liter teuer. Der Verbrenner dürfte damit zur Nische werden, selbst wenn er regulatorisch überlebt.

Gleichzeitig will die EU den Elektroanteil über Flottenvorgaben nach oben treiben. Große Unternehmen sollen bis 2028 die Hälfte und bis 2030 drei Viertel ihrer Neuwagen als Stromer zulassen. Da 60 Prozent der Neuzulassungen auf Firmenflotten entfallen, wäre das ein kräftiger Hebel – auch für die Auslastung europäischer E-Auto-Werke.

Die Industrie nutzt Plug-ins als Brücke, weiß aber um das Ablaufdatum

Berater wie Simon Schnurrer von Oliver Wyman bringen die Lage auf den Punkt: Mittelfristig führt an Plug-in-Hybriden in Europa kaum ein Weg vorbei, um Absätze zu sichern und CO₂-Flottenziele zu erreichen. Langfristig jedoch sollten die Hersteller keine neuen Hybrid-Architekturen mehr entwickeln, sondern ihre Wettbewerbsfähigkeit bei reinen Elektroautos stärken.

Die wirtschaftliche Logik stützt diese Sicht. Die Entwicklung von Doppelantrieben ist deutlich komplexer, die Produktion rund 20 Prozent teurer als bei reinen Verbrennern. Plug-ins sind stark von Förderpolitik abhängig: Als Deutschland Ende 2023 den Umweltbonus strich, brach der Absatz ein – jetzt soll Schwarz-Rot neue Zuschüsse für Stromer und Plug-ins einführen, speziell für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen. Der Markt folgt der Subventionskurve, nicht der Technologie allein.

BMW zeigt, wie zweigleisig die Strategie inzwischen ist. Die kommende „Neue Klasse“ wird entgegen früherer Überlegungen ohne Hybrid-Option auskommen. Stattdessen denken die Münchener über Range-Extender nach – kleine Benzingeneratoren, die in großen SUVs wie dem X5 die Batterie während der Fahrt nachladen und in China bereits gefragt sind. Audi prüft ähnliche Konzepte. Gleichzeitig soll das bestehende Angebot an Plug-ins den Übergang überbrücken, solange Nachfrage und Förderung beitragen.

Für Mercedes, BMW und Volkswagen ist die gelockerte EU-Linie damit vor allem eins: eine Verlängerung des Übergangsfensters. Sie verschafft Zeit, schwache E-Programme nachzuschärfen und Werke auszulasten. Sie ist aber keine Garantie, dass diese Zeit auch genutzt wird. Denn eines bleibt unverändert: Am Ende entscheidet nicht die Brüsseler Formulierung über „Technologieoffenheit“, sondern die Frage, wer die überzeugendsten Elektroautos baut.

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