Täuschend echt, professionell aufgebaut – und kriminell bis ins letzte Detail. Elena Kartel, 60 Jahre alt, zweifache Mutter, gelernte Sozialarbeiterin, hat ihr Leben lang gespart.
Erst für die Ausbildung ihrer Kinder, später für den Ruhestand. Dass sie eines Tages um 30.000 Euro betrogen werden würde – mit „Investment-Chancen“ via WhatsApp – hielt sie für undenkbar. Heute weiß sie: Die größte Gefahr sind nicht Unwissen oder Leichtsinn, sondern das Vertrauen in das Falsche.
Die neue Betrugswelle: Exklusivität, Charts, Rendite – und nichts davon ist echt
Immer mehr deutsche Privatanleger fallen auf eine Masche herein, die von außen aussieht wie ein professionelles Anlageangebot. WhatsApp-Gruppen mit 80 vermeintlichen Investoren, Beratern mit Apps, bunten Diagrammen und angeblichen Zertifikaten.
Und doch steckt hinter den Versprechen ein internationales Täuschungsnetzwerk, das längst Hunderten Menschen das Ersparte genommen hat.
Rechtsanwalt Kemal Eser betreut derzeit über 140 Mandanten, die auf diese Weise betrogen wurden. Der Verdacht: Es handelt sich um ein europaweites Schneeballsystem mit mafiösen Zügen.
Die Betrüger agieren über undurchschaubare Firmengeflechte in Hongkong, Spanien, Wales und Frankreich – viele der Unternehmen sind längst aufgelöst.

Geldfluss über Direktbanken – warum sogar Trade Republic als Zwischenstation fungierte
Ein zentrales Problem: Selbst moderne Broker wie Trade Republic oder etablierte Geldhäuser wie Easy Payment and Finance leiteten die Überweisungen der Opfer weiter, ohne Alarm zu schlagen.
Über IBANs nach Madrid oder London flossen so zehntausende Euro – bei Elena Kartel allein 30.000. Laut Eser gibt es bis heute kaum Warnsysteme, die bei solchen Transfers automatisch Verdacht schöpfen.
„Das System versagt“, sagt der Anwalt deutlich. „Nicht nur die Empfängerbanken tragen eine Mitschuld, auch die Aufsichtsbehörden – allen voran die BaFin – haben zu lange weggeschaut.“
Ein Betrug, den kaum jemand erkennt – selbst nach der Auszahlung
Besonders perfide: Einige Opfer erhalten zunächst kleine „Gewinne“ ausgezahlt – 500 Euro, 750 Euro. Kartel dachte anfangs, alles sei legitim.
Dass das Geld aus neuen Einzahlungen anderer Opfer stammt, wurde ihr erst später klar. Der Trick folgt dem Muster klassischer Schneeballsysteme – nur moderner, internationaler, digitaler.
Die Kommunikation mit den Betrügern läuft inzwischen über KI-generierte Nachrichten. Innerhalb von Sekunden antworten „Berater“ mit generischen Textbausteinen. Persönlicher Kontakt? Täuschung. Verträge? Gefälscht. Die vermeintliche App? Nur eine schön gestaltete Benutzeroberfläche ohne jegliche rechtliche Grundlage.
Juristische Aufarbeitung? Kaum möglich – und die Täter bleiben meist ungreifbar
Professor Dr. Jürgen-Peter Graf, früherer Richter am Bundesgerichtshof, erklärt, warum die Ermittlungen häufig im Sand verlaufen: Wegen fehlender Vorratsdatenspeicherung werden IP-Adressen oft schon nach sieben Tagen gelöscht – eine Rückverfolgung ist dann faktisch ausgeschlossen.
Die Plattform WhatsApp erschwert die Ermittlungen zusätzlich durch Verschlüsselung und selbstlöschende Nachrichten.
„Selbst bei großem Ermittlungsaufwand bleiben die Erfolgsaussichten gering“, so Graf.
Verbraucherschützer warnen: „Exklusiv“, „einmalig“, „hohe Rendite“ – sofort Alarm schlagen
Ralph Kummer vom Bundesverband der Verbraucherzentralen rät zur Vorsicht: Wer plötzlich in WhatsApp-Gruppen eingeladen wird, sollte misstrauisch werden – vor allem, wenn mit „exklusiven“ Investments, hohem Zeitdruck und überdurchschnittlichen Renditen geworben wird. „Dieser Dreiklang“, sagt Kummer, „sollte wie ein Stopp-Schild wirken.“
Besonders gefährlich: der sogenannte Zweitrundenbetrug. Wer bereits Geld verloren hat, wird erneut angesprochen – diesmal von vermeintlichen Anwälten, die gegen Vorkasse versprechen, das Geld zurückzuholen. Auch hier gilt: Misstrauen ist der beste Schutz.

Elena Kartel weiß inzwischen, dass ihr Geld weg ist. Doch sie will kämpfen – nicht nur um eine kleine Chance auf Rückerstattung, sondern auch gegen ein System, das solche Betrügereien überhaupt möglich macht. „Mein Vertrauen in den Finanzmarkt ist erschüttert. Aber ich möchte, dass andere gewarnt sind.“
Der Fall Kartel steht exemplarisch für eine neue Dimension digitaler Finanzkriminalität: hochprofessionell, grenzüberschreitend, kaum greifbar – und doch mitten unter uns.
Was jetzt wichtig ist:
- Überweisungen an unbekannte IBANs im Ausland niemals ohne Identitätsprüfung durchführen.
- Keine Anlageentscheidungen aufgrund von WhatsApp-Kontakten treffen.
- Auffällige Anbieter bei der BaFin melden.
- Bei Verlust: Sofort Kontakt mit einem Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht aufnehmen.
- Vorsicht vor Zweitrundenbetrügern mit Rückhol-Versprechen gegen Vorkasse.
Denn in einer digitalen Finanzwelt, in der alles professionell aussieht, zählt am Ende nur eines: gesunder Menschenverstand.
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