Preise im Rückwärtsgang – und die Notenbank schweigt nicht
Die Schweiz hat als eines der ersten Industrieländer den Inflationsschock der vergangenen Jahre hinter sich gelassen – und ist nun womöglich zu weit in die andere Richtung gerutscht.
Im Mai sank die Teuerungsrate im Vergleich zum Vorjahr auf minus 0,1 Prozent. Es ist das erste Mal seit 2021, dass die Preisentwicklung ins Negative dreht. In einem Land, das Preisstabilität als oberstes Ziel ausgibt, ist das mehr als eine Randnotiz – es ist eine geldpolitische Wegmarke.
Der Franken wird zur Deflationsfalle
Der starke Franken ist dabei einer der Hauptgründe für den Preisrückgang. Seit der Zollandrohung von US-Präsident Trump Anfang April hat sich die Schweizer Währung massiv aufgewertet – allein gegenüber dem Dollar um rund sieben Prozent.
Für die Schweizer Konsumenten klingt das zunächst gut: Importe werden günstiger, vor allem Energie und Konsumgüter. Doch mit den sinkenden Preisen wächst die Gefahr einer anhaltenden Deflationsspirale.
Denn fallende Preise mögen kurzfristig nach einem Geschenk klingen – doch sie setzen Unternehmen unter Druck, senken Investitionsanreize und können mittelfristig auf Löhne und Wachstum durchschlagen. In einem exportorientierten Land wie der Schweiz ist das ein ernstzunehmendes Risiko.
SNB: Kein Aktionismus, aber wachsamer Ton
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) bleibt äußerlich gelassen – zumindest offiziell. Präsident Martin Schlegel betont, man blicke nicht auf die Momentaufnahme, sondern auf die mittelfristige Entwicklung. Doch unter der Oberfläche ist Bewegung.
Die Zinsen wurden bereits fünfmal in Folge gesenkt, zuletzt auf 0,25 Prozent. Am 19. Juni könnte die nächste Reduktion folgen – dann stünde die Schweiz wieder bei null. Der Markt preist diesen Schritt bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit ein.
Dass die SNB sogar Negativzinsen ins Spiel bringt, zeigt: Die geldpolitische Toolbox bleibt offen. Es wäre eine Rückkehr zu einer Praxis, die in Europa eigentlich als abgeschlossen galt – und die die Schweiz zwischen 2015 und 2022 geprägt hat wie kaum ein anderes Land.
Anleihemärkte reagieren – Rückkehr ins Minus
An den Schweizer Anleihemärkten spiegeln sich die Erwartungen bereits deutlich wider. Zweijährige Staatsanleihen rentieren wieder negativ – mit minus 0,23 Prozent notieren sie so tief wie seit drei Jahren nicht mehr.
Für den Kapitalmarkt ist das ein Signal: Die Rückkehr in die Welt unterhalb der Null ist keine theoretische Option mehr – sie ist längst Realität.
Ein Vergleich, der Druck macht: Eurozone stabilisiert sich schneller
Während die Schweiz mit fallenden Preisen zu kämpfen hat, sinkt die Inflationsrate im Euroraum zwar ebenfalls – bleibt aber positiv. Die Europäische Zentralbank meldete zuletzt 1,9 Prozent für den Mai.
Damit liegt auch die EZB unter ihrem Zielwert von zwei Prozent, aber weit entfernt von Deflation. Die EZB könnte bereits in Kürze die erste Zinssenkung seit 2016 vornehmen – doch im Unterschied zur SNB bleibt sie in sicherem Terrain.
Der Vergleich zeigt: Die Schweiz ist wieder ein Sonderfall – und das in mehrfacher Hinsicht. Sie war eines der ersten Länder, das die Inflation unter Kontrolle bekam, aber könnte nun auch das erste sein, das zu weit korrigiert. Ein wirtschaftspolitisches Paradox, das Anleger und Analysten mit wachsender Nervosität verfolgen.
Die große Frage: Ist das schon Deflation – oder bloß ein statistischer Ausreißer?
Noch vermeidet die SNB das Wort „Deflation“ in ihren offiziellen Verlautbarungen. Stattdessen ist von mittelfristiger Preisstabilität die Rede. Doch die Dynamik an Währungsmärkten, die geopolitische Unsicherheit und die globale Abkühlung machen das Thema brandaktuell.
Die Leitzinsen in der Schweiz sind ohnehin schon niedrig, die Spielräume begrenzt. Die Möglichkeit, über Fiskalpolitik gegenzusteuern, ist – im föderalen und schuldenkritischen Kontext der Schweiz – ebenfalls begrenzt.
Bleibt also nur noch die Hoffnung, dass die Preisdelle sich nicht verstetigt. Denn ein Rückfall in eine Phase anhaltend fallender Preise würde die Schweiz in eine geldpolitische Sackgasse führen, aus der auch die SNB nur schwer herausfände.
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