Zitieren verboten
Der Strafbefehl kam per Post – 45 Tagessätze à 50 Euro. Sein Vergehen? Eine Frage auf der Plattform X (ehemals Twitter):
„Warum ist ‚Deutschland verrecke‘ legal und ‚Alles für Deutschland‘ verboten?“
Für Reinhard R., einen unbescholtenen Mann aus Nordrhein-Westfalen, war das offenbar Grund genug, wegen „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ belangt zu werden. Dass es sich um eine Frage handelte – und nicht um eine Parolenbekundung – half ihm nicht.
Der Kontext zählt – oder etwa nicht?
„Deutschland verrecke!“ ist seit Jahren auf linken Demonstrationen zu hören. Der Satz polarisiert, bleibt aber straffrei. Anders sieht es aus bei „Alles für Deutschland“.
Die drei Wörter waren einst Wahlspruch der SA, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Und wer sie heute öffentlich äußert – selbst im Kontext einer Frage oder eines Zitats – riskiert strafrechtliche Konsequenzen.
Das Amtsgericht Münster sah bei R. den „konkreten Vorsatz“, eine verbotene Parole zu verbreiten. Nicht durch Propaganda, sondern allein durch das Zitieren in einem kritischen Vergleich.
Zweierlei Maß?
Der Fall reiht sich ein in eine wachsende Zahl an Debatten über selektive Rechtsanwendung und Meinungsfreiheit in Deutschland. Während AfD-Politiker wie Björn Höcke für die Aussage „Alles für Deutschland“ zu hohen Geldstrafen verurteilt werden, bleiben offen volksverhetzende Äußerungen aus dem linken Spektrum oft folgenlos.
Dabei geht es nicht um die Billigung nationalsozialistischer Ideologie – sondern um das Missverhältnis in der Strafverfolgung. Ein Vergleich, der offenbar selbst dann sanktioniert wird, wenn er nur als offene Frage daherkommt.
Juristische Grauzone – oder politisches Minenfeld?
Rechtsanwälte warnen seit Jahren vor der „Ausweitung des Verfassungsfeindlichkeitsbegriffs auf Zitate“.
Wenn bereits das Stellen einer Frage über eine rechtliche Ungleichbehandlung zur Straftat wird, stellt sich eine zentrale Frage: Wie weit ist es noch her mit der Meinungsfreiheit – gerade dort, wo die juristische Bewertung so stark vom politischen Klima beeinflusst scheint?
R. selbst zeigt sich fassungslos. „Ich habe eine ergebnisoffene Frage gestellt“, sagt er gegenüber dem Online-Magazin Nius, das den Fall publik gemacht hat. Dass das Zitat einer NS-Parole strafbar sein kann, ist ihm bewusst – aber auch, dass „Deutschland verrecke!“ keinerlei historische Aufarbeitung unterzogen wurde, obwohl es in seiner Wortwahl ebenso menschenverachtend sei.
Ein gefährlicher Präzedenzfall
Dass R. auf Anraten seiner Anwältin den Strafbefehl akzeptierte, lag weniger an seiner Einsicht – als an der Aussichtslosigkeit eines Prozesses. Mit Anwaltskosten musste er am Ende rund 4.000 Euro bezahlen.
Vorbestraft ist er formal nicht – dafür hätte es 90 Tagessätze gebraucht. Und doch bleibt ein fahler Nachgeschmack: Denn wer heute eine kritische Frage stellt, kann morgen schon im Fadenkreuz der Justiz stehen.
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