Zwischen Schulterklopfen und Zollandrohungen
Friedrich Merz weiß, worauf er sich einlässt. Vier Telefonate mit Donald Trump reichen nicht, um sich sicher zu fühlen – vor allem dann nicht, wenn der Gesprächspartner gerne abrupt die Stimmung wechselt.
Wenn der Kanzler diese Woche im Blair House, dem Gästehaus des US-Präsidenten, übernachtet, ist das zwar ein symbolischer Ritterschlag. Doch die Agenda des Besuchs ist alles andere als gemütlich.
Trump ist unberechenbar, Merz kalkulierend. Und doch sind beide in gewisser Weise Kompatible: wirtschaftsnah, kontrollierend, machtorientiert.
Die große Frage ist, ob Merz den Draht zum impulsiv regierenden US-Präsidenten findet – oder von Strafzöllen, Russlandpolitik und Digitalangriffen kalt erwischt wird.
Sanktionen, Sicherheit, Selbstbehauptung
Im Zentrum des Besuchs steht ein Ziel: Trump zur Rückkehr auf den Sanktionskurs gegen Russland zu bewegen. Washington hatte sich unter der Biden-Regierung als sicherheitspolitisches Rückgrat Europas erwiesen.
Mit Trump im Amt wurde diese Position wackelig. Merz will Verlässlichkeit – und Druck auf Putin.
Die USA beraten derzeit das härteste Sanktionspaket seit Kriegsbeginn. Der „Sanctioning Russia Act of 2025“ sieht nicht nur ein Exportverbot nach Russland vor, sondern auch drakonische Sekundärsanktionen gegen Länder, die russisches Öl oder Uran importieren.
Merz will, dass Trump mitzieht – doch der Präsident zweifelt am Nutzen multilateraler Lösungen. Für Merz ist das Treffen daher auch ein Balanceakt: zwischen werben, überzeugen und nicht anbiedern.
Hoffen auf das „german blood“
Auffällig ist: Trump mag Merz. Nicht unbedingt politisch, aber persönlich. Die deutsche Herkunft des Kanzlers („german blood“) wird im Trump-Kosmos fast wie ein Vertrauensbeweis gewertet. Das „Du“, die geteilten Nummern, SMS-Verkehr – das alles soll helfen, aus einem formellen Besuch ein produktives Gespräch zu machen.

Doch ob persönliche Sympathie reicht, wenn es um Zölle, Sanktionen und Soldaten geht? Zweifel sind angebracht. Trumps Prinzip: maximale Forderung, minimale Kompromissbereitschaft.
Strafzölle: Trumps Druckmittel der Wahl
Für Deutschland steht auch wirtschaftlich viel auf dem Spiel. Die USA sind einer der wichtigsten Handelspartner, insbesondere für die deutsche Automobilindustrie.
Doch Trump hat erneut mit massiven Strafzöllen gedroht – 50 Prozent auf europäische Produkte, 25 Prozent auf Fahrzeuge. Allein BMW verliert dadurch laut Konzernangaben rund zehn Millionen Euro pro Tag.
Merz, wirtschaftsliberal geprägt, will ein neues Freihandelskapitel aufschlagen. Doch ausgerechnet sein Gastgeber ist erklärter Gegner multilateraler Handelsabkommen.
Er bevorzugt „Deals“ – individuell, bilateral, kalkulierbar. Das Problem: Verlässlichkeit sieht anders aus. Der Kanzler muss versuchen, aus dieser Kurzfristlogik eine verlässliche wirtschaftspolitische Perspektive zu machen.
Merkel, Migration und Meinungsfreiheit
Auch innenpolitisch trennt beide einiges. Trump ist bekannt für seine Verachtung gegenüber Angela Merkel – und sieht in Merz ihren ideologischen Gegenentwurf. Dass der CDU-Kanzler mit der Migrationspolitik seiner Vorgängerin bricht, wird in Washington mit Wohlwollen registriert.
Doch ein anderer Punkt sorgt für Unmut: Europas Digitalpolitik. Die USA werfen der EU vor, amerikanische Techkonzerne zu drangsalieren und sich in Meinungsfreiheit einzumischen. Republikaner wie Rubio oder Trumps Vize Vance stellen gar Visabeschränkungen in Aussicht – als Reaktion auf europäische Gesetze gegen Hassrede und Desinformation.
Merz in der Trump-Welt: Störenfried oder Brückenbauer?
In den vergangenen Jahren hielt sich Merz auffallend zurück, wenn es um direkte Kontakte mit Trumps MAGA-Umfeld ging. Er wich Auftritten mit rechten Meinungsmachern aus, sagte öffentliche Podiumsdiskussionen ab.
Das kam nicht überall gut an – auch nicht bei Trumps wichtigem Vertrauten Lindsey Graham, der nun eine zentrale Rolle bei den Russland-Sanktionen spielt.
Das Washington-Netzwerk der Union – von Adenauer- bis Hanns-Seidel-Stiftung – arbeitet derzeit mit Hochdruck daran, diese Distanz zu überbrücken. Der Besuch von Merz könnte dabei als Türöffner dienen. Ein Treffen mit Graham ist geplant, möglicherweise auch ein Gespräch mit Senator Rubio. Viel hängt davon ab, ob es Merz gelingt, als politisch starker, aber nicht belehrender Partner aufzutreten.
Ein geopolitisches Schachspiel – unter Zeitdruck
Die Uhr tickt. Im Juni stehen der G7-Gipfel in Kanada und der NATO-Gipfel in Den Haag an. Die europäisch-amerikanischen Beziehungen stehen auf dem Prüfstand. Europa will, dass die USA an Bord bleiben – wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, digital. Doch Trump testet Grenzen: rhetorisch, institutionell, wirtschaftlich.
Der Besuch von Friedrich Merz ist deshalb mehr als ein Antrittsbesuch. Er ist ein geopolitischer Stresstest. Für Deutschland, für Europa – und für das Verhältnis zu einer Supermacht, die sich immer weniger berechenbar zeigt.
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