15. Juni, 2025

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Warum zu viel Einsatz am Arbeitsplatz gefährlich werden kann

Eine neue Studie zeigt, wie zusätzliche Eigeninitiative die kognitive Leistungsfähigkeit überraschend schnell an ihre Grenzen bringt – und was Unternehmen dagegen tun können.

Warum zu viel Einsatz am Arbeitsplatz gefährlich werden kann
Proaktive Mitarbeiter zahlen einen hohen Preis: Wer Prozesse verbessert, verbraucht dabei unerwartet viele kognitive Ressourcen – Konzentrationsprobleme am Nachmittag sind die Folge.

Man kennt das Bild: Mitarbeiter, die mit viel Eigeninitiative Prozesse verbessern, Aufgaben optimieren und freiwillig mehr Verantwortung übernehmen, gelten als Vorbilder der modernen Arbeitswelt.

Doch was als Idealbild des engagierten Mitarbeiters verkauft wird, hat eine bislang wenig beachtete Kehrseite: Proaktivität kann die kognitive Leistungsfähigkeit empfindlich schwächen.

Das belegt nun eine neue Untersuchung, die dem blinden Glauben an ungebremstes Engagement einen Dämpfer verpasst.

Mehr Initiative – weniger Konzentration

Die internationale Studie, unter anderem durchgeführt von Wissenschaftlern der Universität Potsdam und der EDHEC Business School in Lille, kommt zu einem klaren Ergebnis: Wer sich im Job über die bloße Aufgabenerfüllung hinaus engagiert, zahlt noch am selben Tag einen Preis.

Bereits wenige Stunden nach proaktiven Tätigkeiten – also wenn etwa Arbeitsabläufe eigeninitiativ hinterfragt, verbessert oder neu gestaltet werden – lassen Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit signifikant nach. Entscheidungen werden ungenauer, Details werden übersehen, die kognitive Leistungsfähigkeit sinkt.

Konkret zeigten die Versuchsreihen: Arbeitnehmer, die vormittags Optimierungsideen entwickelten, schnitten nachmittags bei Gedächtnistests schlechter ab als Kollegen, die nur ihre Routineaufgaben erledigten.

Und das unabhängig von Schlaf, Arbeitsbelastung oder Konflikten am Arbeitsplatz. Selbst bei Ausschluss anderer Stressfaktoren blieb der negative Zusammenhang zwischen Proaktivität und geistiger Leistungsfähigkeit messbar.

Proaktives Arbeiten erhöht die Fehleranfälligkeit am selben Tag: In Tests schnitten engagierte Optimierer bei kognitiven Aufgaben abends systematisch schlechter ab.

Routine als unterschätzte Schutzfunktion

Die Erklärung liegt im Aufbau unserer kognitiven Ressourcen. Routinen dienen im Arbeitsalltag als eine Art Energiesparmodus für das Gehirn: Durch wiederholte, automatisierte Abläufe sinkt der mentale Aufwand für die Durchführung.

Wer hingegen bestehende Abläufe aktiv infrage stellt und neue Prozesse entwickelt, verlässt diesen Sicherheitsmodus. Die Folge: Mehr Energie wird für Problemlösung, Planung und Entscheidung benötigt – Ressourcen, die dann später am Tag für komplexe Aufgaben fehlen.

Die Autoren der Studie ziehen einen interessanten Vergleich: Ein Neuling auf dem Fahrrad muss zunächst noch über jede Bewegung nachdenken, während der erfahrene Radfahrer automatisch agiert. Ähnlich verhält es sich bei der täglichen Arbeit: Abweichungen von der Routine fordern höhere geistige Kapazitäten.

Die unterschätzten Kosten von Innovationsdruck

Für Unternehmen, die seit Jahren zur „ständigen Innovation“ mahnen, ist die Studie ein Warnsignal. Denn auch Organisationen können sich mit einer Überbetonung von Eigeninitiative und Prozessverbesserungen selbst schaden.

„Proaktives Verhalten ist nicht grundsätzlich schädlich“, so die Autoren, „aber es ist kognitiv anstrengender, als viele Unternehmen vermuten.“

Besonders brisant: Wer dauerhaft zum permanenten Optimierer erzogen wird, riskiert langfristig Erschöpfung, Fehler und sogar kontraproduktive Entwicklungen – weil schlicht die geistigen Ressourcen fehlen, um kritische Entscheidungen präzise zu treffen.

Erfolgsrezept: Pausen, Flexibilität, Priorisierung

Die Wissenschaftler liefern gleich mehrere Handlungsempfehlungen. Regelmäßige, bewusste Pausen können helfen, die kognitive Erschöpfung nach proaktiven Phasen abzufedern.

Arbeitgeber sollten zudem wichtige Aufgaben möglichst auf Tageszeiten legen, in denen die Mitarbeiter noch über ausreichend geistige Energie verfügen.

Auch organisatorische Flexibilität kann helfen: Gleitzeit, mobiles Arbeiten und angepasste Deadlines ermöglichen es Mitarbeitern, eigene Hoch- und Tiefphasen besser auszutarieren. Ein Beispiel: Wer vormittags an Prozessoptimierungen arbeitet, sollte wichtige Verhandlungen lieber auf den Folgetag legen.

Fehlerfreundlichkeit statt Dauerstress

Schließlich raten die Studienautoren zu einer Kultur, die proaktives Handeln nicht nur fordert, sondern auch absichert. Fehlerfreundliche Umgebungen, die Experimentierfreude zulassen, reduzieren den psychologischen Druck, der bei vielen Optimierungsinitiativen mitschwingt.

Der resultierende Sicherheitsrahmen gibt Mitarbeitern die Freiheit, Neues auszuprobieren, ohne die permanente Angst vor Fehlern mit sich zu tragen – was wiederum kognitive Kapazitäten schont.

Noch viele offene Fragen

Die Studie wirft auch Fragen für die künftige Forschung auf. So bleibt etwa unklar, ob sich der Erschöpfungseffekt mit zunehmender Übung abschwächen könnte. Womöglich lässt sich durch kontinuierliche Proaktivität langfristig eine Art „Trainings-Effekt“ erzielen.

Auch der Erholungszeitraum nach besonders kognitiv fordernden Tagen ist noch wenig erforscht. Sicher ist nur: Unbegrenzte Proaktivität ohne Rücksicht auf kognitive Belastungsgrenzen wird zum Bumerang – für Mitarbeiter wie Unternehmen.

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