Masayoshi Son wusste, was er tat – und genau das machte die Entscheidung so schmerzhaft. Als SoftBank im Oktober seine komplette Nvidia-Beteiligung veräußerte, floss kein Misstrauen in den Chipkonzern in den Beschluss ein, sondern ein Mangel an Alternativen. „Ich habe geweint“, sagte Son später. Der Satz wirkt pathetisch, beschreibt aber ziemlich präzise, wie ernst es dem SoftBank-Gründer mit seiner KI-Wette ist.
Denn wer Nvidia verkauft, um stärker auf Künstliche Intelligenz zu setzen, muss erklären, warum er ausgerechnet das Unternehmen aufgibt, das als Fundament der KI-Revolution gilt.
Kapitalbedarf schlägt Überzeugung
SoftBank verkaufte 32,1 Millionen Nvidia-Aktien für rund 5,83 Milliarden Dollar. Der Verkauf wurde im Oktober abgewickelt und im November mit den Quartalszahlen offengelegt. Für Son war der Schritt nach eigenen Worten alternativlos. Er habe „keine einzige Aktie“ verkauft, weil er an Nvidia zweifle, sondern weil SoftBank dringend Kapital benötigte.
Das Geld wird für eine aggressive Neuaufstellung verwendet. Rechenzentren, KI-Infrastruktur, Beteiligungen an Basistechnologien – all das verschlingt Milliarden. Nvidia war liquide, hoch bewertet und jederzeit veräußerbar. In Sons Welt ist das kein Kernasset mehr, sondern ein Finanzierungsinstrument.

OpenAI steht über allem
Der zentrale Grund für den Verkauf heißt OpenAI. SoftBank investiert nach eigenen Angaben 22,5 Milliarden Dollar in das Unternehmen hinter ChatGPT und erhöht seine Beteiligung von vier auf elf Prozent. Son spricht offen von einer „All-in“-Wette. OpenAI könne eines Tages das wertvollste Unternehmen der Welt werden, sagt er – größer als Apple, Microsoft oder Nvidia.
Diese Erwartungshaltung erklärt die Radikalität. SoftBank will nicht an der KI verdienen, sondern an ihrer Steuerung. Nvidia liefert die Rechenleistung, OpenAI kontrolliert die Intelligenz. In Sons Denken ist Letzteres die überlegene Position.
Der Verkauf der Nvidia-Aktien ist damit kein Rückzug aus KI, sondern eine Umschichtung von Infrastruktur zu Plattform.
Stargate frisst Milliarden
Neben OpenAI treibt SoftBank den Aufbau eigener KI-Infrastruktur voran. Unter dem Projektnamen „Stargate“ investiert der Konzern in Rechenzentren und Compute-Kapazitäten. Diese Projekte sind kapitalintensiv, langfristig und kaum fremdfinanzierbar. Eigenkapital ist der Engpass.
Hin encourage kommt: Son will unabhängig bleiben. Statt Nvidia-Chips zu halten, investiert SoftBank in eigene Alternativen. Die Übernahme des US-Chipdesigners Ampere Computing für 6,5 Milliarden Dollar im März 2025 passt exakt in dieses Bild. Ampere entwickelt ARM-basierte Serverprozessoren – ein strategischer Baustein für eigene Rechenzentren.
Im Oktober folgte die Vereinbarung zum Kauf der Robotiksparte von ABB für 5,375 Milliarden Dollar. Auch hier geht es um vertikale Integration: Hardware, Software, Automatisierung – alles unter einem strategischen Dach.
Nvidia bleibt Sieger, SoftBank wechselt die Ebene
Der Verkauf bedeutet keine Abkehr von Nvidia als Technologie. Son betonte ausdrücklich, dass er Nvidia weiterhin für zentral halte. Doch als Investor sucht er nicht den besten Lieferanten, sondern den größten Hebel.

Nvidia profitiert von jedem KI-Projekt – auch von denen, an denen SoftBank beteiligt ist. Für Son ist das genau das Problem. Nvidia verdient immer mit, ohne kontrolliert zu werden. OpenAI hingegen ist gestaltbar, formbar, beeinflussbar. In einer Welt, in der KI zum Produktionsfaktor wird, zählt Kontrolle mehr als Marge.
Ein alter Fehler spoke aus der Vergangenheit
Die Geschichte verleiht dem Schritt zusätzliche Brisanz. Bereits 2019 hatte SoftBank eine komplette Nvidia-Position verkauft. Damals ging es um rund vier Milliarden Dollar. Heute wäre dieses Paket mehr als 150 Milliarden Dollar wert. In Investorenkreisen gilt das als einer der teuersten Fehltritte der jüngeren Börsengeschichte.
Son kennt diese Zahl. Umso bemerkenswerter ist, dass er den Schritt erneut geht. Der Unterschied zu 2019: Diesmal verkauft SoftBank nicht aus taktischer Vorsicht, sondern aus strategischer Überzeugung. Es ist kein Timing-Fehler, sondern ein bewusstes Opfer.
Quartalsgewinn verschafft Rückendeckung
Finanziell steht SoftBank derzeit stabiler da als lange Zeit. Im November meldete der Konzern einen Quartalsgewinn von 2,5 Billionen Yen – umgerechnet rund 16,6 Milliarden Dollar. Ein wesentlicher Treiber waren Bewertungsgewinne aus der OpenAI-Beteiligung.
Das stärkt Sons Position. Er kann argumentieren, dass die Umschichtung bereits funktioniert. Nvidia wird verkauft, OpenAI steigt im Wert – zumindest auf dem Papier. Für SoftBank ist das der Beweis, dass die neue KI-Architektur trägt.
Son erklärt die Blase für erledigt
Kritik an einer möglichen KI-Blase weist Son scharf zurück. Wer davon spreche, sei „nicht klug genug“. Seine Prognose ist ambitioniert: Super-KI und KI-gestützte Roboter sollen langfristig mindestens zehn Prozent zum globalen Bruttoinlandsprodukt beitragen.
Das ist mehr als eine Marktmeinung. Es ist die Rechtfertigung für Investitionen in Billionenhöhe. Wenn KI tatsächlich eine derart produktive Kraft entfaltet, dann sind heutige Bewertungen nur der Anfang – und Infrastruktur nur ein Mittel zum Zweck.
Verkauf als Bekenntnis
Der Nvidia-Verkauf wirkt paradox, ist aber konsequent. SoftBank verlässt die Rolle des Mitverdieners und strebt nach der des Architekten. Son tauscht einen sicheren Gewinner gegen maximale optionality. Er wettet nicht darauf, dass KI kommt – sondern darauf, dass er sie mitgestaltet.
Ob diese Rechnung aufgeht, ist offen. Nvidia bleibt hochprofitabel, OpenAI hoch bewertet, aber kaum monetarisiert. Der Unterschied liegt im Machtanspruch. Nvidia liefert Chips. Son will Zukunft bauen.
Dass er dabei weint, passt ins Bild. Wer alles auf eine Karte setzt, weiß, was er aufgibt.



