Offener Brief gegen den EU AI Act
Mehr als ein Jahr nach Inkrafttreten des EU AI Act, dem zentralen europäischen Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz, wächst der Widerstand aus der Wirtschaft. Siemens-Chef Roland Busch und SAP-CEO Christian Klein gehören zu den bekanntesten Unterzeichnern eines offenen Briefs, der eine Aussetzung des KI-Gesetzes fordert.
Hintergrund ist der internationale Wettbewerb: In den USA setzt die Trump-Regierung mit einem „Action Plan“ auf umfassende KI-Deregulierung, um amerikanische Tech-Konzerne zu beschleunigen.
Kein Schwarz-Weiß-Malen bei der KI-Gesetzgebung
Philipp Hartmann, promovierter KI-Experte und Geschäftsführer des Münchener Beratungsunternehmens AppliedAI, widerspricht der Forderung nach Abschaffung.
„Der EU AI Act ist nicht perfekt, aber Regulierung pauschal abzulehnen, ist gefährlich.“
KI bringe neben enormen Chancen auch Risiken, die mit europäischen Grundwerten nicht vereinbar seien – etwa Massenüberwachung oder Social Scoring. Besonders in kritischen Bereichen wie Infrastruktur, Kreditentscheidungen oder Gesundheitswesen sei eine klare KI-Regulierung notwendig, um Missbrauch zu verhindern.

EU AI Act: Zwischen Bürokratie und notwendigem Schutz
Das KI-Gesetz der EU ist komplex – mehrere Hundert Seiten, ergänzt durch Anhänge, Definitionen und Erläuterungen. Für große Unternehmen aus regulierten Branchen wie Finanz- oder Gesundheitswesen ist die Umsetzung machbar.
Für Start-ups und Mittelständler hingegen bleibt sie eine erhebliche Hürde. Hartmann plädiert für eine Reform: Anforderungen für kleinere Firmen senken, den risikobasierten Ansatz beibehalten – statt das Gesetz komplett zu kippen.
Gefahr eines europäischen Flickenteppichs
Würde der EU AI Act abgeschafft oder ausgesetzt, droht nach Hartmann ein regulatorischer Flickenteppich:
„Dann würden einzelne EU-Länder eigene KI-Gesetze schaffen – und die Fragmentierung wäre für Unternehmen noch problematischer.“
Statt Deregulierung um jeden Preis brauche es eine klare Strategie, die Innovation fördert und zugleich einheitliche Standards in Europa sichert.
KI in Unternehmen: Zwischen schnellen Erfolgen und tiefgreifendem Wandel
Trotz Kritik am AI Act steigt die Nachfrage nach KI-Lösungen in Unternehmen deutlich. Besonders gefragt sind sogenannte KI-Agenten – Software, die auf Basis großer Sprachmodelle selbstständig Aufgaben ausführt, wie etwa die Bearbeitung von Ausschreibungsunterlagen.
Diese Anwendungen bringen schnellen Return on Investment bei geringem Risiko. Die tiefe Integration von KI in Kernprozesse bleibt dagegen oft ein langfristiges Projekt – insbesondere im Mittelstand.
Das strategische Dilemma Europas in der KI-Politik
Die Debatte um den EU AI Act ist mehr als eine Auseinandersetzung über Bürokratie. Sie entscheidet, ob Europa in der Künstlichen Intelligenz nur reagiert oder eigene Standards setzt.
Ein blinder Nachvollzug der US-Deregulierung könnte kurzfristig Wachstum fördern – langfristig aber die europäische KI-Souveränität schwächen. Wer die Regulierung aus der Hand gibt, gibt auch die Kontrolle über ethische Standards und Sicherheitsgrenzen ab.
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