Die Warnung kommt nicht von irgendwem
Alexander Dobrindt, Bundesinnenminister und CSU-Politiker, sagt einen Satz, der in seiner Schlichtheit aufrüttelt: „Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen wächst stark.“
Gemeint ist nicht bloß der übliche pubertäre Trotz, sondern echte Radikalisierung – mit politischem Hintergrund. In der rechtsextremen Szene, aber auch bei jungen Islamisten und Linksextremen, verzeichnen die Sicherheitsbehörden einen gefährlichen Zulauf.
Der Verfassungsschutzbericht 2024, den Dobrindt am Dienstag gemeinsam mit Verfassungsschutz-Vizepräsident Sinan Selen in Berlin vorstellen will, liefert die Zahlen. Doch schon vorab ist klar: Die Radikalisierung ist real. Und sie trifft eine Altersgruppe, die eigentlich anderes im Kopf haben sollte als politische Gewalt.
Jugendliche auf der Suche nach Feindbildern
Die Szenarien ähneln sich: Junge Menschen, oft frustriert, gelangweilt oder orientierungslos, stoßen im Netz auf radikale Inhalte. Rechtsextreme geben sich als „Kämpfer gegen das System“ aus, stilisieren sich als Opfer einer angeblichen Bedrohung durch „Fremde“.
Islamisten und Linksextreme nutzen ähnliche Narrative. Das Ziel: Zugehörigkeit, Klarheit, eine Identität – koste es, was es wolle.
Dobrindt spricht von einem „Störmechanismus in der Gesellschaft“. Was sich harmlos anhört, beschreibt in Wahrheit eine tiefgreifende gesellschaftliche Fehlfunktion: Der Staat verliert den Kontakt zu einem Teil seiner Jugend – während Extremisten diese Lücke zu füllen wissen.
Die Rolle der Schulen – Ort der Lösung oder Teil des Problems?
Schulen könnten Teil der Lösung sein. Doch sie kämpfen oft auf verlorenem Posten. Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, sagt es deutlich:
„Von der Bundesregierung erwarten wir keine symbolischen Schulbesuche oder Lippenbekenntnisse.“
Er fordert verpflichtende Gedenkstättenbesuche, mehr Sozialarbeit, finanzierte Antihass-Projekte.
Gärtner beschreibt ein Klima, das viele Lehrer bestätigen würden: Rechte Parolen, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit – oft offen, oft folgenlos. Die Schule, einst Schutzraum, wird zum Austragungsort gesellschaftlicher Spannungen. Und der Staat? Debattiert lieber über Zuständigkeiten.

Wenn TikTok zur Einflugschneise für Extremismus wird
Längst spielt sich ein großer Teil der Radikalisierung im Digitalen ab. Videos auf TikTok, anonyme Gruppen auf Telegram, Foren voller Hetze.
Junge Menschen wachsen mit einer Alltagskultur auf, in der Verschwörungserzählungen und extremistische Inhalte so normal sind wie virale Tänze. Wer auffallen will, muss provozieren. Wer dazugehören will, muss mitziehen.
Dobrindt fordert, dass vor allem „Netzwerke vor Ort“ die erste Warnung liefern – Schulen, Vereine, Jugendtreffs. Sie seien näher dran an den Jugendlichen als Polizei oder Verfassungsschutz. Doch auch sie kämpfen oft mit Geldmangel, Überlastung und fehlender politischer Rückendeckung.
Der Staat muss früher ansetzen – nicht später reagieren
Derzeit funktioniert das System wie ein Rauchmelder ohne Batterie: Es piept, wenn es zu spät ist. Dobrindt will mehr Aufklärung, mehr Dialog, mehr Präsenz – und betont gleichzeitig, dass auch die Lebensrealität junger Menschen eine Rolle spielt. Wer sich als Verlierer wahrnimmt, ist anfällig für radikale Weltbilder, die einfache Erklärungen und klare Feindbilder bieten.
Doch das reicht nicht. Aufklärung darf nicht bei Projektwochen enden. Es braucht Mut zur klaren Haltung. Es braucht Geld. Und es braucht den politischen Willen, diese Radikalisierung nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie systematisch zu bekämpfen.
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