04. Juni, 2025

Märkte

Warum Europas Autobauer bald stillstehen könnten

Chinas neuer Exportkurs bei strategischen Rohstoffen zwingt die deutsche Industrie zum Zittern. In sechs Wochen drohen erste Produktionsstopps – weil es an Elementen fehlt, die kaum jemand kennt, aber jeder braucht.

Warum Europas Autobauer bald stillstehen könnten
Mit 87 % der weltweiten Verarbeitungskapazitäten für Seltene Erden zieht Peking die Zügel an – deutsche Autobauer zittern vor dem nächsten Lieferstopp.

Rohstoff-Krieg im Schatten der Elektromobilität

Die Uhr tickt. In vier bis sechs Wochen könnten erste Bänder in deutschen Autofabriken stillstehen – nicht wegen Streiks, Strommangel oder Softwarefehlern, sondern wegen Neodym, Dysprosium und Praseodym.

Namen, die wie aus der Science-Fiction klingen, aber längst zum Herzstück moderner E-Autos geworden sind. Es geht um Seltene Erden – jene 17 chemischen Elemente, von denen China fast alle weltweit kontrolliert.

Wer diese Materialien braucht – und das tun praktisch alle Autobauer –, muss derzeit zittern. Denn nach einem wochenlangen Exportstopp vergibt Peking nun wieder Lizenzen – aber nur unter rigiden Auflagen.

Was auf den ersten Blick wie eine Zollposse wirkt, könnte in Wahrheit ein geopolitischer Schachzug sein – mit dem Ziel, Europa zu verunsichern, die USA zu schwächen und China als industrielle Supermacht zu zementieren.

Chinas neue Waffe: Bürokratie mit politischem Beigeschmack

Baotou Tianhe Magnetics, ein chinesischer Marktführer für Hochleistungsmagneten, hat nach Wochen der Lähmung erstmals wieder eine Exportlizenz erhalten.

Doch selbst dieser „Erfolg“ ist brüchig. Denn was auf dem Papier wie ein Aufatmen wirkt, ist in Wahrheit eine neue Abhängigkeit: Die Genehmigungen sind unberechenbar, jederzeit widerrufbar – und vor allem politisch. Ein angeblicher Formfehler kann genügen, um Lieferungen zu stoppen. Wer in die USA exportiert, riskiert sofort den Ausschluss.

In spätestens sechs Wochen steht in deutschen E-Auto-Fabriken womöglich alles still. Die Rohstofflager sind fast leer, neue Lieferungen bleiben ungewiss.

Peking bleibt sich treu: Der Gegner soll verunsichert sein, nicht wissen, woran er ist. Schon 2010 setzte China auf ähnliche Weise Japan unter Druck – ein Exportstopp für Seltene Erden infolge eines Territorialkonflikts, offiziell nie bestätigt, aber global spürbar.

Die WTO rügte das Vorgehen – gebracht hat es wenig. China kontrolliert heute 87 Prozent der weltweiten Verarbeitungs- und 91 Prozent der Raffineriekapazitäten für Seltene Erden.

Deutschlands Autobauer im Wartemodus

Die Stimmung bei deutschen Herstellern? Nervös, aber betont gelassen. Mercedes „beobachtet und evaluiert“, Volkswagen meldet „stabile Versorgung“ – doch die Realität spricht eine andere Sprache.

In sechs Wochen sind die Lager leer. Danach: Stillstand. „Der Hochlauf der Elektromobilität in Europa könnte dadurch gefährdet werden“, warnt Christian Grimmelt von AlixPartners.

Auch die Preise explodieren: 40 bis 50 Prozent Aufschlag für viele Seltenerdprodukte binnen weniger Monate. Was die einen in die Knie zwingt, öffnet anderen die Kassen – westliche Produzenten mit eigenen Vorkommen erleben derzeit ein seltenes Comeback an der Börse.

Verpasste Chancen, teure Fehler

Dass Europa heute so verwundbar ist, ist kein Naturgesetz – sondern die Quittung jahrzehntelanger Bequemlichkeit. Recycling? Kaum vorhanden. Bevorratung? Zu teuer. Strategische Reserven? Fehlanzeige.

Stattdessen vertraute man auf „Just-in-Time“-Lieferketten – auch bei kritischen Rohstoffen. Dabei hatte man 2021 alle Warnzeichen gesehen, als China mit fragwürdigen Corona-Checks ganze Häfen lahmlegte. Und doch hat man aus den Lieferketten-Schocks der Pandemie kaum gelernt.

„Der Einstieg ins Recycling ist kostspielig und dauert Jahre“, sagt Grimmelt. Eine Ausrede – oder ein Offenbarungseid?

BMW, Renault und der Magnet ohne Magnet

Einige Hersteller haben versucht, dem Dilemma zu entkommen – mit technischen Innovationen. BMW etwa entwickelte Elektromotoren, die ohne Seltene Erden auskommen, indem sie auf eine neue Magnetfeldtechnik setzen.

Renault fährt einen ähnlichen Kurs. Mercedes wiederum will den Anteil dieser Metalle künftig „deutlich reduzieren“ – konkrete Ergebnisse sind bislang rar. Fakt ist: Auch diese Hersteller brauchen die Rohstoffe noch – etwa für Batterien, Elektronik oder Lautsprecher. Ganz ohne China geht es bisher nicht.

China spielt Machtpolitik – und Europa schaut zu

Was bleibt, ist ein strategischer Weckruf. Die Volksrepublik setzt ihre Vormachtstellung bei Seltenerdmetallen ein wie ein Skalpell: präzise, leise, aber mit maximaler Wirkung.

Hinter der Fassade bürokratischer Exportlizenzen steckt eine Machtdemonstration – adressiert an Washington, aber mit voller Wirkung in Berlin, Paris und Brüssel.

Dass Trump mit neuen Zöllen auf chinesische E-Autos provoziert, macht die Lage noch heikler. Peking antwortet, wie es das seit Deng Xiaoping gelernt hat: ökonomisch, geschickt, ohne Lautstärke – aber mit globaler Sprengkraft.

Der Preis des Zögerns

China hat seine Lektionen gelernt. Europa nicht. Während Peking strategische Rohstoffe hortet und gezielt in geopolitische Werkzeuge verwandelt, fehlt der EU eine kohärente Industriepolitik. Einzelne Initiativen wie der „European Critical Raw Materials Act“ kommen spät und wirken hilflos angesichts der chinesischen Dominanz.

Die Autoindustrie fordert nun „eine resiliente Industriepolitik“. Die Frage ist: Warum erst jetzt? Und warum hat man sich in Jahrzehnten der Wohlstandsproduktion so tief in die Abhängigkeit einer einzigen Macht manövriert?

Ende der Illusion

Vielleicht war die größte Lüge, dass man globalisierte Lieferketten als selbstverständlich ansah. Der aktuelle Engpass bei Seltenen Erden ist mehr als nur ein Industrieproblem. Er ist ein Symbol für das Ende naiver Globalisierung – und den Anfang einer neuen wirtschaftlichen Realität, in der Rohstoffe zu geopolitischen Waffen werden.

Der Westen hat noch sechs Wochen Zeit, bevor das Band steht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Plattform-Soli: Kommt jetzt die Steuer für Google & Meta?
Staatsminister Weimer will die US-Techkonzerne endlich in die Pflicht nehmen – mit einer Abgabe auf Werbeumsätze. Während die Aktien steigen, wächst in Berlin der Widerstand gegen digitale Monopolmacht.