Wenn die Absicherung selbst zum Risiko wird
Die Nachricht war überfällig, aber nicht weniger brisant: Die Raiffeisenbank im Hochtaunus wird offiziell als Stützungsfall eingestuft. Der Sicherungsfonds des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) muss einspringen – mal wieder.
Über die genaue Summe schweigt sich der Verband aus. Doch in Branchenkreisen ist von einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag die Rede, der zur Absicherung von Kreditrisiken benötigt wird.
Der Auslöser: gewerbliche Immobilienfinanzierungen, die in Schieflage geraten sind – auch außerhalb des eigenen Geschäftsgebiets.
Bad Homburg auf Expansionskurs – und am Abgrund
Was zunächst wie ein lokales Problem einer kleinen Genossenschaftsbank wirkt, ist in Wahrheit ein Fall mit Sprengkraft.
Die Raiffeisenbank aus dem wohlhabenden Bad Homburg hatte sich in den letzten Jahren ungewöhnlich weit aus dem Fenster gelehnt: aggressive Zinsangebote, bundesweite Einlagenakquise, bis zu 50.000 Euro Mitgliedseinlagen pro Kunde, gewerbliche Kredite in Immobilienmärkte jenseits der Region.
Für eine Genossenschaftsbank mit einem Geschäftsmodell „von Mitgliedern für Mitglieder“ ein Bruch mit der DNA des Sektors.
Ergebnis: Die BaFin griff ein, verhängte ein Kreditverbot. Die Führung der Bank wurde ausgetauscht, inzwischen sitzt ein Risikomanager der künftigen Fusionspartnerin Volksbank Mittelhessen an der Spitze. Es war der letzte Schritt vor der Notoperation.
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Ein Rettungssystem unter Stress
Die genossenschaftliche Institutssicherung ist das Rückgrat der Volksbankenwelt – und bislang ein Erfolgsmodell. Doch die immer häufigeren und immer teureren Rettungseinsätze bringen das System an seine Grenzen. 2024 mussten bereits drei Institute gerettet werden.
Laut Brancheninformationen wurden im letzten Jahr Risiken in Höhe von rund 500 Millionen Euro abgeschirmt – ohne, dass öffentlich Namen oder Zahlen genannt wurden.
Der Fall Hochtaunus rückt nun die Debatte in ein neues Licht: Wie weit darf Eigenverantwortung gehen, wenn am Ende doch alle haften?
Fusion statt Insolvenz – eine alte Strategie mit neuem Risiko
Die geplante Fusion mit der Volksbank Mittelhessen ist der erwartbare Ausweg – systemintern, stabilitätsorientiert, bewährt. Die Vertreterversammlungen beider Institute sollen im Spätsommer zustimmen, die Fusion rückwirkend zum 1. Januar 2025 greifen. Die größere Bank übernimmt – die kleinere darf überleben. Aber zu welchem Preis?
Solche Fusionen sind keine Restrukturierung im eigentlichen Sinne. Es sind Absicherungen – mit dem Ziel, das Vertrauen in den Sektor nicht zu gefährden.
Doch sie senden auch ein Signal: Wer hoch riskiert und scheitert, kann trotzdem auf die Solidargemeinschaft zählen. Ein ökonomischer wie moralischer Zielkonflikt, den der Sektor intern längst diskutiert.
Die Frage nach dem Systemrisiko
Offiziell bleibt der BVR gelassen. Präsidentin Marija Kolak betont, es gebe „kein systemisches Problem“. Doch der Hochtaunus-Fall wirft genau diese Frage auf: Was passiert, wenn zu viele kleine Institute zu große Risiken eingehen – im Vertrauen auf die große Rückendeckung?
Die DZ Bank, das Spitzeninstitut des Sektors, erwirtschaftete 2024 zwar 3,3 Milliarden Euro Vorsteuergewinn. Auch die Gesamterträge der Volks-, Raiffeisen-, Sparda- und PSD-Banken lagen solide bei 9,5 Milliarden. Doch Rückstellungen in dreistelliger Millionenhöhe sind selbst in einem gut kapitalisierten System kein Pappenstiel – und keine Lösung auf Dauer.
Ein Sektor in der Bewährungsprobe
Die Raiffeisenbank Hochtaunus ist nicht nur ein Sanierungsfall – sie ist ein Lehrstück. Über Wachstumsgrenzen im Regionalbankwesen. Über Disziplin in der Kreditvergabe. Und über die Grenzen kollektiver Sicherheit.
Denn solange Einzelinstitute vom Sicherheitsnetz aufgefangen werden, ohne sich an dessen Regeln zu halten, steht nicht nur der Ruf der Branche auf dem Spiel – sondern das System selbst.
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