02. August, 2025

Warum die Finanzmärkte der Ampel nicht alles durchgehen lassen werden

172 Milliarden Euro zusätzliche Lücke, steigende Zinsen, sinkende Glaubwürdigkeit: Der Bund der Steuerzahler warnt vor einer gefährlichen Wette auf das Wohlwollen der Kapitalmärkte.

Warum die Finanzmärkte der Ampel nicht alles durchgehen lassen werden
Trotz Rekordausgaben: An strukturelle Probleme wie Rentensystem, Pflege oder demografischen Wandel wagt sich die Bundesregierung bislang kaum heran.

172 Milliarden Euro, die niemand erklärt

Die Zahl ist kaum greifbar: 172,1 Milliarden Euro. So hoch ist laut interner Regierungsrechnungen der zusätzliche Finanzbedarf bis 2029 – on top der ohnehin schon ambitionierten Haushaltsplanung.

Fast 28 Milliarden Euro mehr als noch vor wenigen Monaten öffentlich beziffert. Doch in Berlin bleibt es erstaunlich leise. Kein Aufschrei, keine Kurskorrektur. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Zahlen. Es geht um Glaubwürdigkeit.

„Das bestrafen Märkte gnadenlos“

Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, bringt das Problem auf den Punkt. Wer glaubt, sich unbegrenzt und folgenlos verschulden zu können, der kennt die Finanzmärkte schlecht.

Die Top-Bonität Deutschlands sei „keine Einbahnstraße“, sagt er. Soll heißen: Wenn der Eindruck entsteht, dass die Regierung mehr schönt als steuert, könnten Investoren bald eine Risiko-Prämie verlangen – und die kostet.

Allein von 2021 bis 2023 sind die jährlichen Zinskosten des Bundes von rund 4 Milliarden auf über 40 Milliarden Euro explodiert – Tendenz weiter steigend.

35 Milliarden? Bald vielleicht das Dreifache

Schon jetzt gibt der Bund rund 35 Milliarden Euro pro Jahr allein für Zinsen aus. Bis 2029 rechnet die Regierung mit bis zu 70 Milliarden.

Holznagel hält sogar 100 Milliarden jährlich für möglich – sollte die Stimmung an den Märkten kippen. Zum Vergleich: Das wäre mehr, als der Bund aktuell insgesamt für Bildung, Forschung, Familie und Umwelt zusammen ausgibt.

Schulden für Investitionen? Schön wär’s

Offiziell heißt es, die neuen Schulden seien nötig für Klimaschutz, Infrastruktur und Verteidigung. In der Praxis wird aber auch konsumiert: Die Ausweitung der Mütterrente etwa – ein klassischer Fall von Sozialpolitik auf Pump.

Für Holznagel ist das ein Tabubruch:

„Wenn wir anfangen, laufende Ausgaben über neue Schulden zu finanzieren, ist das keine Investition mehr – das ist schlicht ein Risiko für alle.“

Umetikettieren statt ehrlich rechnen

Besonders heikel: Laut Holznagel werden rund 60 Milliarden Euro aus dem regulären Haushalt einfach in ein neues „Sondervermögen Infrastruktur“ verschoben.

Geld, das eigentlich als zusätzlich angekündigt war, wird kurzerhand umgebucht. Der Begriff „dreiste Umetikettierung“ fällt. Und tatsächlich: Was dem Bundestag einst als Zukunftsprogramm verkauft wurde, entpuppt sich nun als klassische Umschichtung.


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Zukunft auf Pump – mit ungewissem Ziel

Auch die 100 Milliarden Euro für Länder und Kommunen, ursprünglich gedacht für neue Investitionen, könnten weitgehend im laufenden Betrieb versickern. Von „Zusätzlichkeit“ ist keine Rede mehr.

Man könnte sagen: Der Bund verteilt Geld – und hofft, dass irgendwo etwas Gutes damit passiert. Eine echte Strategie sieht anders aus.

Strukturprobleme? Weiter vertagt

Dabei wären gerade jetzt Reformen nötig. Das Rentensystem, die Pflege, die gesetzliche Krankenversicherung – sie alle laufen in eine demografische Wand. Gleichzeitig stagniert die Produktivität.

Doch statt gegenzusteuern, verliert sich die Ampel in Programmen, Fonds und Sondervermögen. Holznagel warnt: Auch die Ratingagenturen schauen genau hin – und sie erkennen den Unterschied zwischen echten Reformen und schön gefärbten Haushaltszahlen.

Bonität ist kein Naturgesetz

Was lange als sicher galt – dass Deutschland sich immer günstig verschulden kann – ist inzwischen nur noch eine Annahme. Und eine wackelige dazu. Denn Vertrauen an den Finanzmärkten ist flüchtig.

Es wächst langsam, aber es kann innerhalb weniger Monate verschwinden. Wer das ignoriert, spielt nicht nur mit Zinsen, sondern mit dem Fundament der deutschen Finanzpolitik.

Die Frage, die keiner stellt

Was fehlt, ist Ehrlichkeit. Nicht in den Prognosen, sondern in der politischen Haltung. Wie soll ein Land, das sich sichtbar schwer tut, seine Haushalte solide zu planen, glaubhaft für Investitionen werben? Wie lange lässt sich die Schere zwischen politischem Anspruch und finanzieller Realität noch kaschieren?

Die Rechnung kommt – mit Zinsen

Noch honorieren die Märkte Deutschlands Ruf als verlässlicher Schuldner. Noch. Doch Vertrauen ist kein Freifahrtschein. Es muss verdient – und gepflegt – werden. Bleibt das aus, werden Investoren ihren Preis fordern.

Und der könnte in wenigen Jahren die Spielräume für echte Zukunftspolitik auffressen. Ohne dass je investiert wurde.

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