08. Mai, 2025

Wirtschaft

Warum Amerikas Häfen leer laufen – und die Regale bald auch

Containerschiffe meiden die Westküste, Importe brechen ein, Unternehmen stoppen Produktionen – die neuen Strafzölle der USA könnten die Lieferketten massiver stören als Corona. Und diesmal gibt es keinen „Plan B“.

Warum Amerikas Häfen leer laufen – und die Regale bald auch
Seit Trumps Ankündigung von Zöllen auf chinesische Importe ist der Containerumschlag in den Häfen von Los Angeles und Long Beach um über 20 % eingebrochen – der stärkste Rückgang seit der Pandemie.

Wenn die Kräne stillstehen

Normalerweise herrscht in den US-Westküstenhäfen rund um Los Angeles und Seattle pausenloses Treiben: Containerbrücken im Dauereinsatz, Lkw im Rückstau, Schiff um Schiff im Anmarsch.

Doch seit Ende April liefern selbst die Webcams der Terminals ein anderes Bild: verwaiste Anlegeplätze, hochgeklappte Kräne, kaum Verkehr an den Gates. Der Grund ist keine Naturkatastrophe – sondern politische Absicht.

Donald Trump hat geliefert. 145 % Zoll auf zahlreiche Importe aus China. Eine Art Strafsteuer auf globalisierte Lieferketten. Was als industriepolitische Kampfansage begann, droht jetzt als Versorgungskrise im Einzelhandel zu enden. „Wir erwarten einen Rückgang von 35 Prozent im Containerumschlag“, warnte Gene Seroka, Hafenchef von Los Angeles. Und das ist nur der Anfang.

Was nicht ankommt, fehlt morgen im Regal

Die Mechanik ist simpel: Was jetzt nicht verschifft wird, fehlt in einigen Wochen in Supermärkten, Werkstätten und Apotheken.

Laut Analysen von Sea Intelligence wurden allein im April rund 400.000 Container weniger auf der Transpazifikroute transportiert als üblich – ein Rückgang von mehr als 20 Prozent. Besonders betroffen: günstige Konsumgüter, Elektronik, Kleidung – und Vorprodukte für die Industrie.

Viele Importeure haben reagiert: Sie ordern nichts mehr aus China, aus Angst auf Lagerkosten und Zöllen sitzenzubleiben. Die Folge: ein importpolitischer Winterschlaf mitten im Frühling. Und ein Konsumklima, das kippt.

Autokonzerne stoppen die Bänder

Tesla, Stellantis, Ford – wer auf Teile aus Asien angewiesen ist, hat ein Problem. Werke in den USA, Kanada und Mexiko wurden im April temporär geschlossen, Zeitarbeiter nach Hause geschickt, Modelle verschoben. Besonders heikel: Auch kritische Komponenten wie Steuergeräte, Elektromotoren oder selbst simple Schrauben stehen auf der Zollliste.

Die neuen US-Zölle betreffen über 300 Milliarden US-Dollar an Importwaren, darunter Elektronik, Autoteile und Medikamente. Viele US-Firmen stornieren Aufträge, weil sich der Import schlicht nicht mehr lohnt.

Bei Tesla stehen gleich zwei Projekte auf der Kippe: Der Lkw „Semi“ und das autonome Taxi „Cybercab“ könnten sich verzögern. Ford warnt bereits öffentlich, dass der Exporterfolg der US-Autoindustrie durch Zölle auf Zulieferteile ernsthaft gefährdet sei.

Logistisches Déjà-vu – diesmal ohne Pandemie

Die Effekte erinnern an die Corona-Krise: fehlende Container, gestörte Vorläufe, nicht lieferbare Ersatzteile. Doch diesmal ist die Ursache menschengemacht – und politisch instabil. Reedereien brauchen Wochen Vorlauf für Routenanpassungen. Und die Unberechenbarkeit der US-Zollpolitik lässt kaum Planungssicherheit zu.

Nach jeder Ankündigung folgt eine Kurskorrektur: Halbleiter erst betroffen, dann nicht. Medikamente ausgenommen, dann doch wieder teils verteuert. Wer als Logistiker oder Produktionsleiter arbeiten will, braucht mittlerweile mehr Nerven als Netzwerk.

Gesundheitssystem in der Warteschleife

Besonders dramatisch ist die Lage im Gesundheitssektor. Medizintechnik und Pharma reagieren empfindlich auf Veränderungen – schon kleine Anpassungen in Rezepturen oder Gerätebauteilen lösen neue Zertifizierungsprozesse aus, die Jahre dauern können.

„Man kann medizinische Komponenten nicht einfach durch andere ersetzen“, sagt Heiko Schwarz, Experte für Lieferketten bei Sphera.

Zölle auf Medikamente und Maschinen drohen deshalb nicht nur die Preise im US-Gesundheitswesen explodieren zu lassen, sondern auch konkret die Versorgung zu gefährden. Und das ausgerechnet in einem Land mit ohnehin fragmentierter Krankenversicherung.

Auch Deutschland verliert – leise, aber spürbar

Der deutsche Export leidet mit. Besonders betroffen: Chemie, Pharma, Maschinenbau. Denn die meisten mittelständischen Unternehmen verkaufen nicht direkt an Endkunden in den USA, sondern an Distributoren – die jetzt die Zollkosten tragen müssen.

Die Folge: US-Unternehmen kaufen weniger. Lieferverträge werden aufgekündigt, neue Deals verzögert. Der Verband der Chemischen Industrie warnt bereits vor spürbaren Rückgängen im Exportvolumen.

Produktion zurückholen? Leichter gesagt als getan

Trump rechtfertigt die Zölle mit dem Ziel, Fertigung zurück in die USA zu holen. Doch das Gegenteil könnte eintreten. Denn viele Maschinen, die für den Aufbau neuer Produktionslinien nötig wären, kommen selbst aus China – oder enthalten chinesische Komponenten.

Der Ökonom Richard Baldwin spricht von „verstecktem Risiko“: Selbst wenn ein Produkt in den USA montiert wird, stammen oft kritische Teile aus Fernost. Ohne sie bleibt jede Verlagerung Theorie.

Ein Präsident im Zoll-Labyrinth

Die US-Regierung laviert. Erst harte Zölle auf alles, dann Ausnahmen, dann neue Pläne. Handelsminister Howard Lutnick kündigte Ende April an, die Abgaben im Mai nochmals anzuheben – mit Blick auf „nationale Sicherheit“.

Eine politische Eskalation, deren wirtschaftliche Wirkung niemand mehr durchdringt. Experten sprechen offen von Chaos, Unternehmer von Sabotage.

„Die größte Gefahr ist nicht der Zoll selbst“, sagt Baldwin, „sondern die Unvorhersehbarkeit.“

Und genau darin liegt die Sprengkraft: Denn Produktion braucht Planung – und Vertrauen. Beides erodiert derzeit.

Was jetzt noch hilft – und was nicht mehr reicht

Zwar gibt es erste Gesprächsangebote aus Washington an Peking. Doch selbst bei sofortiger Einigung würde der Rückstau Wochen brauchen, um sich aufzulösen. Viele leere Container sind nicht am richtigen Ort.

Die Logistik ist gestört. Lieferketten sind wie Zahnräder – ein einziges defektes Glied reicht, um das System zu blockieren.

Und während sich politische Lager gegenseitig die Schuld zuschieben, spüren Verbraucher bald die Wirkung an der Kasse. Weniger Auswahl. Höhere Preise. Längere Wartezeiten. Die Ironie: Ausgerechnet das Ziel, die US-Wirtschaft unabhängiger zu machen, könnte sie instabiler und teurer machen als je zuvor.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das Buffett-Protokoll vor der Hauptversammlung
Warren Buffett sitzt auf über 330 Milliarden Dollar und schweigt zur Krise – jetzt wollen Aktionäre Antworten: über Zölle, Apple, seine Nachfolge und den größten Cash-Berg der Börsengeschichte.