Volkswagen beendet eines seiner ambitioniertesten Strukturprojekte der vergangenen Jahre. Der Konzern verabschiedet sich in Europa vom Direktvertrieb von Elektroautos und überlässt das Geschäft wieder vollständig den Händlern. Damit macht Volkswagen einen zentralen Baustein seiner E-Auto-Strategie rückgängig – leise, aber mit weitreichenden Folgen.

In Deutschland war die Kehrtwende bereits 2024 vollzogen worden, nun folgt der Rest Europas. Lediglich das Flottengeschäft bleibt im Agenturmodell. Für Privatkunden hingegen gilt wieder das klassische Prinzip: Händler kaufen Fahrzeuge auf eigene Rechnung und verkaufen sie eigenverantwortlich weiter.
Händler tragen wieder Risiko – und Verantwortung
Mit der Rückkehr zum traditionellen Vertriebsmodell verschiebt sich die Last im System. Preisgestaltung, Lagerhaltung und Absatzrisiken liegen künftig wieder bei den Autohäusern. Diese erhalten dafür klassische Handelsmargen statt fixer Provisionen und können flexibler auf lokale Nachfrage reagieren.
Für Volkswagen ist das vor allem bilanziell attraktiv. Fahrzeuge wandern nicht mehr in die eigenen Bücher, der Konzern reduziert Kapitalbindung und operative Komplexität. In Zeiten von Kostendruck und schwacher E-Auto-Nachfrage ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Ein Experiment nach Tesla-Vorbild
Eingeführt wurde das Agenturmodell 2020. Der Blick ging nach Kalifornien: Tesla zeigte, wie sich Autos ohne Händler direkt an Kunden verkaufen lassen. Volkswagen wollte Preise vereinheitlichen, Kosten senken und die Kundenschnittstelle stärker kontrollieren. Händler sollten nur noch Vermittler sein, der Konzern den Verkauf steuern.
In der Theorie klang das effizient. In der Praxis erwies sich das Modell als schwerfällig. Volkswagen musste Absatzrisiken selbst tragen, zwei parallele Vertriebssysteme für Verbrenner und Stromer organisieren und mit aufwendigen IT- und Abrechnungssystemen arbeiten. Hinzu kamen rechtliche Unsicherheiten in verschiedenen Ländern.
Konflikte und fehlende Motivation
Ein zentrales Problem lag im Verhältnis zu den Händlern. Die fixen Provisionen dämpften die Verkaufsmotivation, gleichzeitig gab es Streit über Vergütung, Zuständigkeiten und Prozesse. Händler fühlten sich entmachtet, ohne dass der Konzern die versprochene Effizienz liefern konnte.

Der Marktkontext verschärfte die Lage. Die Nachfrage nach Elektroautos entwickelte sich schwächer als erwartet, Rabattschlachten nahmen zu. Gleichzeitig zwang ein konzernweites Sparprogramm dazu, jede Kostenposition zu hinterfragen. Vertriebsvorstand Martin Sander räumte ein, dass das Agenturmodell die erhofften Effekte nicht gebracht habe.
Rolle rückwärts mit Signalwirkung
Die Entscheidung ist mehr als eine operative Anpassung. Sie ist ein Eingeständnis, dass sich traditionelle Hersteller nicht beliebig an das Tesla-Modell anlehnen können. Während Tesla von Beginn an ohne Händlernetz aufbaute, muss Volkswagen bestehende Strukturen integrieren – oder eben nutzen.
Für die Händler ist die Rückkehr zum klassischen Modell ein Erfolg. Sie gewinnen Gestaltungsspielraum zurück und können wieder unternehmerisch agieren. Für Volkswagen bedeutet es vor allem eines: weniger Komplexität, weniger Risiko, weniger Kapitalbindung.
Anleger bleiben skeptisch
An der Börse löst die Entscheidung keine Euphorie aus. Die Volkswagen-Vorzugsaktie bleibt unter Druck. Investoren sehen den Schritt als notwendig, aber nicht als Wachstumsimpuls. Das Direktvertriebs-Experiment dürfte den Konzern Geld gekostet haben – ohne nachhaltigen Ertrag.
Die Kehrtwende passt jedoch ins Gesamtbild. Volkswagen konzentriert sich wieder stärker auf Kerngeschäft und Kostenkontrolle, statt auf strukturelle Großexperimente. In einem schwierigen Marktumfeld kann genau das wichtiger sein als visionäre Vertriebsmodelle.
Der Direktvertrieb sollte Volkswagen moderner machen. Am Ende war er vor allem eines: zu kompliziert.



