Dirk Hoke hat keine Anlaufphase gebraucht. Sieben Monate nach seinem Amtsantritt als Vorstandschef des Maschinenbauers Voith kündigt er einen Stellenabbau an, der das Unternehmen spürbar verändern wird: 2500 Jobs sollen wegfallen, die meisten davon in Deutschland. Für ein Familienunternehmen dieser Größe ist das ein Einschnitt, der weit über Personalpolitik hinausgeht. Er markiert den Beginn eines radikalen Umbaus.
Der Sparkurs trifft vor allem die Verwaltung
Hoke lässt keinen Zweifel daran, wo er die strukturellen Schwachstellen sieht. Die Verwaltung sei zu schwerfällig, die Abstimmungswege zu lang, die Fixkosten zu hoch. Welche Standorte betroffen sind, lässt er offen – wohl, um die bevorstehenden Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern nicht zusätzlich zu verhärten. Doch die Richtung ist klar: Deutschland trägt den größten Teil der Einschnitte, weil die strukturellen Handicaps dort am stärksten wiegen. Hohe Energiepreise, hohe Lohnkosten, eine dichte Regulierung – Hoke nennt sie in einem Atemzug.
Für betriebsbedingte Kündigungen sieht er dennoch Chancen, sie zu vermeiden. Ob das gelingt, wird sich erst zeigen, wenn die Umstrukturierung greift und die betroffenen Bereiche sichtbar werden.
Hoke verschlankt konsequent – und greift tief ins Organigramm ein
Der neue CEO hat den Konzern bereits im oberen Management umgebaut. Fast der gesamte Vorstand wurde ersetzt, nun folgt die nächste Ebene: Bis zu drei Führungsebenen könnten entfallen. Hoke hält die bisherige Struktur für „ungesund“, weil Führungsspannen zu eng und Entscheidungswege zu fragmentiert seien.
Der Einfluss des Aufsichtsrats ist dabei klar sichtbar. Vorsitzender Siegfried Russwurm, früher Siemens-Vorstand und BDI-Präsident, steht für eine klare industriepolitische Linie: mehr Produktivität, weniger Komplexität, mehr globaler Fokus. Der Kurs trägt die Handschrift dieser Perspektive – mit Hoke als Vollstrecker.
Ein Konzern im Minus braucht Handlungsspielraum
Voith erwirtschaftete 2023/24 zwar 5,2 Milliarden Euro Umsatz, lag damit aber fünf Prozent unter dem Vorjahr – und rutschte in die Verlustzone. Die klassischen Bereiche Papiermaschinen, Wasserkraftkomponenten und Antriebssysteme wachsen zwar wieder leicht, doch sie vertreten nicht das Gesamtergebnis. Der Druck, Kosten zu senken, ist entsprechend hoch.
Der Bereich Nutzfahrzeugsantriebe wurde bereits ausgelagert. Die neue Einheit Driventic taucht nicht mehr im Konzernabschluss auf – eine klare Fokussierung auf die drei Kernsparten. Für Investitionen in Technologie, Digitalisierung und Service braucht Voith Liquidität. Hoke sagt es offen:
„Wir können nur bestehen, wenn wir unsere Zukunft in die eigenen Hände nehmen.“
350 Wachstumsfelder – und drei konkrete Schritte
Die Analyse des Konzerns hat laut Hoke ein großes Potenzial hervorgebracht: 350 mögliche Wachstumsfelder. Für den Anfang konzentriert sich Voith auf drei davon: Wärmerückgewinnung, Wasseraufbereitung und Plastikrecycling. Es sind Themen, die im globalen Industriemarkt wachsen und zu Voiths technologischer Basis passen.
Dabei will Hoke bewusst keine großen Übernahmen eingehen. Stattdessen sollen kleine Pilotprojekte zeigen, ob Kunden bereit sind, für die neuen Lösungen zu zahlen. Scheitern gehört zum Plan – und genau das sei eine neue Denkweise, sagt Hoke: weg von teuren strategischen Irrtümern, hin zu einem experimentelleren Ansatz.

Widerstand wächst – und zeigt die kulturelle Herausforderung
Bei den Belegschaften kommt der Kurs nicht gut an. Der Betriebsrat spricht von mangelnder Transparenz und kritisiert den Druck, unter dem die Transformation stehe. Tatsächlich ist Voith seit Jahren gewachsen, ohne seine Strukturen entsprechend anzupassen. Nun soll binnen Monaten gelingen, was lange verschoben wurde.
Hoke hält dagegen: Der Umbau sei systematisch, nicht aktionistisch. Und er verweist auf einen Vorteil des Familienunternehmens: langfristige Planung ohne die kurzfristigen Taktvorgaben eines Kapitalmarkts. Die 5. und 6. Gesellschaftergeneration stehen hinter ihm. Gleichzeitig arbeitet in der Führung kein Familienmitglied mehr operativ mit – ein weiterer Hinweis auf den Professionalitätsanspruch, den Voith inzwischen verfolgt.
Ein Traditionskonzern versucht, sich neu zu erfinden
Voith ist 158 Jahre alt. Hoke sagt, er wolle den Konzern für die nächsten 160 Jahre aufstellen. Das ist ambitioniert, besonders nach einer Phase, in der das Unternehmen mit Verlusten kämpfte und global an Wettbewerbsfähigkeit einbüßte.
Für Hoke ist der Stellenabbau nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung, um Investitionskraft zurückzugewinnen. Für die Beschäftigten bedeutet er eine Zäsur. Für das Unternehmen bedeutet er ein Risiko – und eine Chance. Anders als bei Volocopter, wo große Visionen und operative Realität weit auseinandergingen, will Hoke diesmal strukturellen Boden unter die Füße bringen.
Die Frage ist nun, wie viel Zeit und Vertrauen er dafür bekommt. Denn der Umbau, den er eingeleitet hat, betrifft nicht nur Strukturen – er verändert die Kultur eines ganzen Unternehmens.

