Wenn der gute Zweck zum Finanzrisiko wird
Viva con Agua galt lange als Paradebeispiel für erfolgreiches Social Entrepreneurship in Deutschland: Mineralwasser verkaufen, Brunnen bauen, Gutes tun – und dabei noch Promis wie Ed Sheeran oder Billie Eilish als Markenbotschafter gewinnen.
Doch das ehrgeizige Projekt der Hamburger NGO, das Geschäftsmodell nun mit einer eigenen Hotelkette auszuweiten, droht zum finanziellen Drahtseilakt zu werden. Nach gut zwei Jahrzehnten Aufbauarbeit steht Viva con Agua an einem Wendepunkt: zwischen Wachstumsschub und möglicher Überforderung.
Ein Hotel, viele Probleme: Die Villa Viva in Hamburg
Mit dem „Villa Viva“ wagten sich die Gründer Benjamin Adrion und Michael Fritz 2023 erstmals in ein klassisches Hochrisikogeschäft der freien Wirtschaft.
Ein zwölfstöckiger Glaskubus nahe des Hamburger Hauptbahnhofs, 40 Millionen Euro Investitionssumme, 138 Zimmer, prominente Unterstützer und kunstvolles Design — ein Prestigeprojekt für die Organisation.
Doch der Start verlief anders als erhofft: Pandemie, Ukrainekrieg, Baukostenexplosion und schleppender Restaurantbetrieb warfen sämtliche Kalkulationen über den Haufen. Bereits im ersten Jahr verbuchte das Hotel einen Verlust von 1,4 Millionen Euro. Nachfinanzierungen, Personalabbau und intensive Investorengespräche folgten.
Vom Brunnenbauer zum Unternehmer mit CFO-Mentalität
Adrion, einst Fußballprofi beim FC St. Pauli, und sein Mitstreiter Fritz mussten lernen, dass emotionale Strahlkraft und unternehmerische Realität zwei verschiedene Disziplinen sind.

Beide sind nach wie vor das Gesicht der Organisation, doch hinter den Kulissen laufen längst Change-Workshops, Reorganisationen und Krisenmeetings. Der Spagat zwischen ehrenamtlichem Aktivismus und unternehmerischer Professionalisierung wird für Viva con Agua zur Überlebensfrage.
Die Paradoxie der Erfolgsgeschichte
Finanziell steht Viva con Agua heute auf mehreren Säulen: 40 Millionen verkaufte Wasserflaschen jährlich, Lizenzerlöse von gut 3,3 Millionen Euro, zusätzliche Einnahmen durch Klopapiermarke „Goldeimer“, Kunstfestivals, Benefizaktionen und neuerdings eben auch Hotels.
Doch der Erfolg bringt ein Problem mit sich: Je stärker die wirtschaftlichen Aktivitäten wachsen, desto weniger sehen klassische Spender die Notwendigkeit zu unterstützen. Fritz bringt das Dilemma auf den Punkt:
„Sobald du mit etwas Gutem Geld verdienst, hast du schnell ein Problem.“
Der Spagat zwischen Gemeinnützigkeit und wirtschaftlichem Handeln wird in der deutschen Spendenkultur schnell zum Imagespagat.
Wachstum braucht Kontrolle – und neue Strukturen
Inzwischen beschäftigt Viva con Agua rund 130 Mitarbeiter, betreibt in 50 Städten lokale Crews und ist international aktiv. Gleichzeitig bleibt die Struktur komplex, unübersichtlich und wenig skalierbar.
Stiftung, Verein, Unternehmensbeteiligungen und zahlreiche Sonderprojekte wachsen teils nebeneinander her. „Alles funktioniert eher wie ein Organismus“, beschreibt es Adrion selbst.
Doch der Organismus braucht nun klare Führung. Eine eigene „Change Crew“ wurde eingesetzt, Compliance-Strukturen ausgebaut, und Adrion wechselte aus dem Stiftungsvorstand in die operative Verantwortung der Hotelholding.
Neue Finanzierungslogik: Vom Spendenmarathon zur Investorensuche
Um die steigenden Gemeinkosten zu decken, initiiert Fritz parallel neue Finanzierungsmodelle wie die „Aguanista Ultras“: Wohlhabende Unterstützer sollen über drei Jahre jeweils 30.000 Euro zusagen, um den Overhead zu sichern und Spendengelder vollständig in Projekte fließen zu lassen.
Erste Großspender wie Gero Decker, Ex-Gründer von Signavio, sind bereits an Bord. Gleichzeitig arbeitet Fritz sich zunehmend in die Netzwerke der Start-up- und Investmentwelt vor — zwischen WHU Impact Summit und Bits & Pretzels wird kräftig für „Impact Investing“ geworben.
Emotionaler Vollkontakt mit der Realität
Was als idealistisches Spendenprojekt begann, ist längst zu einem multidimensionalen Unternehmen geworden.
Der Spagat zwischen Purpose und Profit erfordert von den Gründern nun ein Maß an betriebswirtschaftlicher Nüchternheit, das ihrer bisherigen Erfolgsformel — Improvisation, Spontanität, Netzwerk-Power — diametral entgegensteht.
Oder wie Fritz es formuliert: „Mit 42 fange ich jetzt an, strukturiert zu arbeiten. Aber ein Stück Leichtigkeit ist weg.“
Ein Sozialunternehmen unter ökonomischem Hochdruck
Der Ausgang ist offen. Noch 2026 soll das erste Hotel den Break-even erreichen. Weitere Standorte sind in Planung. Doch der Balanceakt bleibt hochriskant. „Entweder entsteht jetzt ein Diamant – oder alles zerfällt zu Asche“, beschreibt Adrion die Lage. Für Viva con Agua gilt damit das klassische Start-up-Credo: Scale or fail.
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