Ein Warnstreik mit Vorwarnung
Die Fronten sind verhärtet, der Ton schärfer geworden. Nachdem auch die dritte Verhandlungsrunde zwischen der Gewerkschaft Verdi und dem Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen (AGV) ergebnislos geblieben ist, ruft Verdi nun zum bundesweiten Streik auf – am 26. Juni.
Betroffen sind nahezu alle größeren Versicherungsstandorte, darunter Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln und München. Bereits in den vergangenen Wochen hatte es punktuelle Warnstreiks gegeben. Doch diesmal soll das Signal flächendeckend sein – wenn auch ohne Garantie auf Wirkung.
Streiks ohne Wirkung?
Die Beteiligung an bisherigen Aktionen war überschaubar. Einige Hundert Beschäftigte fanden sich bei den bisherigen Protesten ein – viel Engagement, aber wenig Resonanz.
Und die Arbeitgeber geben sich unbeeindruckt. Man rechne mit weiteren „gewerkschaftlichen Aktionen“, die aber den Geschäftsbetrieb nicht gefährdeten, so AGV-Vize Sebastian Hopfner. Übersetzt: Der Streik wird zur Kenntnis genommen, aber nicht als Druckmittel akzeptiert.
Die Forderungen im Überblick – und der Dissens im Detail
Verdi fordert eine Gehaltserhöhung von 12 Prozent, bezogen auf sämtliche Gehälter und Zulagen – bei nur zwölf Monaten Laufzeit. Dazu eine Anhebung der Ausbildungsvergütungen um 250 Euro und die unbefristete Übernahme von Azubis.

Außerdem will Verdi einen Tarifvertrag „Transformation“, der die Beschäftigten in Zeiten von KI, Automatisierung und Prozessauslagerung absichern soll.
Der AGV bietet bislang: 4,8 Prozent mehr ab August 2025, 3,3 Prozent ab September 2026 – bei einer Laufzeit bis Juli 2027. Für Auszubildende sind 220 Euro mehr vorgesehen.
Verdi nennt das „absolut inakzeptabel“, die Arbeitgeber halten dagegen: Der Reallohnverlust der vergangenen Jahre lasse sich „nicht einfach zurückverhandeln“.
Nächster – und womöglich letzter – Versuch Anfang Juli
Immerhin: Ein neuer Verhandlungstermin steht. Am 4. Juli wollen sich die Tarifparteien virtuell austauschen. Die Betonung liegt auf: „letztmalig“. Denn wie der AGV offen einräumt, wäre eine weitere Runde erst im Herbst möglich – aufgrund terminlicher Engpässe.
Die Hoffnung, dass dieser Termin zu einem Durchbruch führt, ist angesichts der starren Ausgangspositionen allerdings gering. Verdi pocht auf einen „echten Fortschritt“. Der AGV signalisiert Gesprächsbereitschaft, aber keine Bewegung.
Tarifpolitik unter Druck – und unter Zeitdruck
Der Konflikt offenbart ein strukturelles Dilemma: Auf der einen Seite stehen Beschäftigte, deren Löhne hinter der Inflation herhinken – und deren Arbeitsplätze durch Digitalisierung langfristig bedroht sind.
Auf der anderen Seite stehen Unternehmen, die wirtschaftlich gut durch die vergangenen Jahre gekommen sind, aber argumentieren, dass sie vorsichtig haushalten müssen – gerade wegen der anstehenden Transformation.
Der angekündigte „Transformationstarifvertrag“ ist mehr als Symbolik. Er steht für ein Thema, das die Branche bald mit voller Wucht treffen wird: Automatisierte Schadenbearbeitung, KI-gesteuerte Kundeninteraktion, Outsourcing von Backoffices. Der klassische Innendienst steht unter Rationalisierungsdruck – und sucht nach verlässlichen Regeln für diesen Wandel.
Streiks im Schatten – Konflikt ohne echte Öffentlichkeit
Dass der Tarifstreit bislang weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit verläuft, liegt nicht nur an der Branche selbst, sondern auch an der geringen Beteiligung. Doch unterschätzen sollte man ihn nicht.
Die Versicherungsbranche beschäftigt rund 180.000 Innendienstmitarbeitende in Deutschland – viele davon in zentralen Prozessen. Kommt es zu längeren Auseinandersetzungen, drohen Rückstaus, Frust – und womöglich ein langfristiger Vertrauensverlust.
Ein Ergebnis am 4. Juli wäre ein Befreiungsschlag. Bleibt der Durchbruch aus, droht ein monatelanges Patt – mit leisen, aber langanhaltenden Folgen.
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