Streit mit System
Es war die Woche, in der die Regierung aus CDU/CSU und SPD ihre Doppelrolle perfektionierte: nach außen zerrissen, nach innen geeint. Der Konflikt um den Wehrdienst, bei dem es um Freiwilligkeit oder Pflicht ging, wurde zum Symbol einer Regierung, die sich auf Ampel-Art streitet – aber dann wie unter Helmut Kohl zu Kompromissen findet.
Das Wehrdienstgesetz war längst durchs Kabinett, bevor es in den Fraktionen erneut auf Widerstände stieß. Statt der üblichen Debatte im Bundestag wurde intern weiterverhandelt – in der Hoffnung, Geschlossenheit zu demonstrieren. Das Ergebnis: das genaue Gegenteil. Der Verteidigungsminister sprach von einer „fahrlässigen Verzögerung“, der Koalitionsfrieden wackelte, Medien rochen Blut.
Tatsächlich wirkt diese Regierung wie ein Hybrid aus alter Bonner Stabilität und Berliner Selbstblockade. Sie streitet öffentlich, aber sie liefert – manchmal beides gleichzeitig.
Die Einigung nach der Eskalation
Nur wenige Tage später dann das Gegenstück: der Koalitionsausschuss. Dieselben Parteien, die sich noch beim Wehrdienst gegenseitig blockierten, verkündeten plötzlich Einigungen bei Bürgergeld, Aktivrente und Autobahnausbau. Keine Revolution, aber eine Ansage: Wir funktionieren noch.
Beim Bürgergeld einigten sich Union und SPD auf strengere Regeln, die viele Ökonomen für sinnvoll halten – flankiert von Symbolpolitik, die vor allem die konservative Basis beruhigen soll. Die Botschaft: Wir haben verstanden, dass es in diesem Land nicht nur um soziale, sondern auch um psychologische Stabilität geht.
Der neue Pragmatismus
Was die Woche zeigt: Diese Regierung will kein harmonisches Bündnis sein, sondern eine Werkstatt. Sie arbeitet, sie reibt sich, sie produziert Lärm – und manchmal Ergebnisse.
Das ist keine Schwäche, sondern Realität. Demokratie bedeutet eben nicht, dass alle dasselbe wollen. Sie bedeutet, dass man Kompromisse findet, die länger halten als eine Presseschlagzeile.
Viele in der Wirtschaft reagieren dennoch ungeduldig. Deutschland steckt in einem Reformstau, und jede weitere Woche des Verhandelns wirkt wie Zeitverlust. Doch hinter der scheinbaren Trägheit steckt ein Paradigmenwechsel: Nach Jahren der Ampel-Dissonanz setzt die schwarz-rote Koalition auf einen ruhigeren, aber zäheren Stil. Weniger „große Sprünge“, mehr Handwerk.

Die Psychologie der Erwartung
Friedrich Merz hat nach seinem Wahlsieg die Latte selbst hochgelegt. „Neustart für Deutschland“ war mehr als ein Slogan – es war ein Versprechen. Doch ein Land lässt sich nicht per Dekret umschalten. Zwischen Krisenmanagement und Strukturreformen liegt eine Lücke, die selbst starke Regierungschefs selten sofort schließen.
Die Wirtschaft wartet auf Impulse, die Menschen auf Entlastung, Europa auf Orientierung. Und während die Regierung im politischen Dauerlauf schwitzt, wächst der Frust über fehlendes Tempo.
Merz steht nun vor einem Dilemma: Entweder er erfüllt die Erwartungen und riskiert Streit – oder er verwaltet die Kompromisse und verliert die Dynamik. Beides hat er in dieser Woche zugleich geschafft.
Zwischen Ampel-Erbe und Kohl-Pragmatismus
Was die Union und SPD jetzt leisten, ist der Versuch einer Balance zwischen zwei politischen Epochen: der hektischen Ampel-Ära und der bedächtigen Konsenspolitik der 1990er. Streit wird nicht mehr als Schwäche verstanden, sondern als notwendiger Prozess.
Ob das genügt, um das Land wirklich voranzubringen, ist offen. Aber im Vergleich zur Ampel wirkt die neue Regierung erstaunlich robust – weniger visionär, aber stabiler.
