Der Besuch, der eigentlich nicht stattfinden sollte
Washington, Montagmorgen. Kein roter Teppich. Kein Händeschütteln vor laufender Kamera. Kein Presseaufgebot.
Ahmed al-Scharaa, Übergangspräsident Syriens und ein Mann mit Vergangenheit bei Al-Qaida, betritt das Weiße Haus durch einen Seiteneingang. Donald Trump hat ihn eingeladen – als erster US-Präsident seit mehr als einem Jahrzehnt, der überhaupt wieder einen syrischen Staatschef empfängt.
Noch vor wenigen Monaten stand al-Scharaa auf der Terrorliste der USA. Für Trump offenbar kein Problem. Für seine Berater schon. Ein Analyst des Nationalen Sicherheitsrats wird später sagen, der Besuch habe „außenpolitisch das Potenzial, zu detonieren“. Doch Trump sieht eine Chance – und Menschen, die Chancen wittern, ignorieren Risiken gern.
Trumps Deal-Ansatz: Sanktionen weg, Kooperation her
Noch im Sommer setzte Trump nahezu alle Sanktionen gegen Syrien aus. Offizielle Begründung: Man wolle dem zerstörten Land eine Tür zum Wiederaufbau öffnen.
Inoffiziell geht es um etwas anderes: Trump will Syrien aus dem Einflussbereich Irans lösen. Al-Scharaa wiederum braucht dringend internationale Anerkennung – und Geld. Der syrische Wiederaufbau wird auf hunderte Milliarden Dollar geschätzt. Ohne westliche Unterstützung bleibt er illusorisch.
Trump liefert den ersten Schritt: politische Rehabilitation.
Im Gegenzug verlangt er ein Bekenntnis. Al-Scharaa erklärt beim Treffen den Beitritt Syriens zur internationalen Anti-IS-Koalition. Ein Satz, eine Unterschrift – aber ohne jeden militärischen Beitrag. Experten nennen es symbolisch, Trump nennt es historischen Fortschritt.
„Syrien kann sehr erfolgreich sein“, sagt der US-Präsident hinter verschlossenen Türen. Ein Satz, der bisher nur als Zitat auf Fotos des syrischen Presseteams existiert.
Das größere Spiel: Abraham-Abkommen 2.0
Seit seinem Amtsantritt treibt Trump ein außenpolitisches Projekt voran: eine Neuordnung des Nahen Ostens.
Aus wirtschaftlichen Deals sollen geopolitische Annäherungen werden:
Arabische Staaten normalisieren ihre Beziehungen mit Israel und werden dafür mit Investitionen und Sicherheitsgarantien belohnt.
Trumps Ziel: Syrien soll sich anschließen. Doch al-Scharaa blockt ab – und verweist auf die israelische Besetzung der Golanhöhen. Ohne Lösung der Golanfrage kein Teil der Abkommen, sagt er.
Trump nimmt den Rückschlag hin, nicht ohne Seitenhieb: „Er ist ein harter Typ.“ Man spürt zwischen den Zeilen: Der Deal ist noch nicht gescheitert, nur vertagt.

Warum dieser Moment geopolitisch brisant ist
Syrien ist zerschossen, das Land wirtschaftlich am Boden. Aber es ist strategisch entscheidend:
- Iran nutzt Syrien als Korridor für Waffenlieferungen nach Libanon (Hisbollah).
- Russland hält Militärbasen im Land – die einzigen russischen Mittelmeerhäfen außerhalb Europas.
- China investiert in Infrastruktur und bietet Kredite an, falls der Westen zaudert.
Trumps Botschaft: Wenn die USA Syrien nicht integrieren, tun es andere. Und zwar Gegner. Nahostexperte Ahmad Scharawi bringt es nüchtern auf den Punkt:
Das Weiße Haus wollte vermeiden, jemanden öffentlich zu begrüßen, der einmal „Teil eines Terrornetzwerks war“. Gleichzeitig weiß Trump, dass er al-Scharaa braucht, wenn er Iran isolieren will.
Realpolitik schlägt Moral.
Was bedeutet das für Europa?
In Brüssel herrscht Kopfschütteln. Offiziell ist al-Scharaa für die EU weiterhin kein Ansprechpartner. Doch im Hintergrund laufen bereits erste Gespräche zur Migrationsbegrenzung.
Denn ein stabileres Syrien bedeutet: weniger Flüchtlingsbewegungen Richtung Europa. Europa schaut zu – und reagiert. Die USA gestalten.
Donald Trump hat nicht einfach einen umstrittenen Präsidenten empfangen. Er hat eine geopolitische Weiche gestellt. Ob das Ergebnis Stabilität oder ein außenpolitischer Bumerang wird, hängt nun von einem Mann ab, den noch vor Monaten niemand im Oval Office sehen wollte.
Es ist eine dieser Szenen, die Politikgeschichte schreiben können:
Ein früherer Terrorverdächtiger verlässt durch dieselbe Seitentür das Weiße Haus, durch die er gekommen ist – und plötzlich ist Syrien zurück auf der Weltbühne.

