Sechs tote Blauhelmsoldaten sind kein Kollateralschaden, sondern ein politisches Signal. Der Drohnenangriff auf den UN-Stützpunkt in Kadugli zeigt, wie weit der Krieg im Sudan eskaliert ist – und wie schutzlos selbst jene geworden sind, die eigentlich Schutz bieten sollen.
Der Angriff trifft den Kern der internationalen Präsenz
Der Stützpunkt der UN-Friedenstruppe Unifsa in Kadugli, Hauptstadt des sudanesischen Bundesstaates Süd-Kordofan, wurde gezielt aus der Luft angegriffen. Sechs Soldaten aus Bangladesch starben, sechs weitere wurden verletzt, vier davon schwer. Der Einsatz einer Drohne spricht gegen einen Zufallstreffer. Er deutet auf Planung, Aufklärung und klare Absicht.
UN-Generalsekretär António Guterres reagierte ungewöhnlich scharf. Der Angriff sei „entsetzlich“ und könne ein Kriegsverbrechen darstellen. Die Wortwahl ist kein diplomatisches Ritual, sondern eine bewusste Eskalation. Angriffe auf UN-Personal gelten völkerrechtlich als besonders schwerwiegend. Wer sie begeht, stellt sich offen gegen die internationale Ordnung.
Die Schuldfrage bleibt politisch vermint
Die sudanesische Militärregierung in Port Sudan beschuldigte umgehend die RSF-Miliz von Mohamed Hamdan Daglo, besser bekannt als Hemedti. Die paramilitärische Truppe wies die Vorwürfe zurück und sprach von „falschen Anschuldigungen“. Beweise legte bislang keine Seite vor.
Die Wahrheit ist: In einem Krieg, in dem Propaganda zur Waffe geworden ist, lässt sich Verantwortung kaum eindeutig zuordnen. Klar ist nur, dass beide Konfliktparteien längst moderne Waffentechnik einsetzen – inklusive Drohnen. Was früher ein Instrument staatlicher Armeen war, ist heute auch für Milizen verfügbar. Das verändert die Dynamik des Krieges grundlegend.
Unifsa operiert in einem politischen Niemandsland
Die getroffenen Soldaten gehörten zur UN-Mission Unifsa, die in der umstrittenen Grenzregion Abyei zwischen Sudan und Südsudan stationiert ist. Das Mandat ist komplex, die politische Lage fragil. Abyei gilt seit der Abspaltung des Südsudan im Jahr 2011 als ungelöster Konfliktherd. Ein endgültiger Status wurde nie festgelegt.
Unifsa sollte Stabilität sichern, Eskalationen verhindern und Zivilisten schützen. Doch der Angriff zeigt, wie begrenzt der Handlungsspielraum der Mission ist. Ohne klare Fronten, ohne verlässliche Partner und ohne robuste Durchsetzungsbefugnisse wird Friedenssicherung zur riskanten Präsenzverwaltung.

Der Bürgerkrieg entgrenzt sich weiter
Seit April 2023 liefern sich Sudans reguläre Armee unter General Abdel Fattah al-Burhan und die RSF-Miliz einen brutalen Machtkampf. Mehrere zehntausend Tote, Millionen Vertriebene, zerstörte Städte – der Konflikt hat längst jede politische Rationalität verloren.
Mit dem Angriff auf UN-Blauhelme überschreitet der Krieg eine weitere Schwelle. Er richtet sich nicht mehr nur gegen den Gegner oder die Zivilbevölkerung, sondern gegen das internationale System selbst. Friedensmissionen werden vom Beobachter zum Ziel.
Bangladesch zahlt einen hohen Preis
Alle getöteten und verletzten Soldaten stammen aus Bangladesch – einem der größten Truppensteller der Vereinten Nationen. Interims-Regierungschef Muhammad Yunus sprach von sechs Toten und acht Verletzten und bat die UNO um umfassende Unterstützung für die Betroffenen. Das Außenministerium in Dhaka verurteilte den Angriff scharf.
Für Länder wie Bangladesch sind UN-Missionen mehr als außenpolitisches Engagement. Sie bringen internationale Anerkennung, militärische Erfahrung und finanzielle Einnahmen. Doch der Preis steigt. Wenn Blauhelme zunehmend gezielt angegriffen werden, wird die Bereitschaft zur Truppenstellung sinken.

Der Schutz der Friedensschützer wird zur Illusion
UN-Missionen basieren auf einem stillschweigenden Konsens: Sie sind neutral, sie werden nicht angegriffen. Dieser Konsens bröckelt nicht erst im Sudan. In Mali, im Kongo, im Libanon wurden UN-Soldaten in den vergangenen Jahren immer häufiger Ziel von Attacken.
Der Drohnenangriff in Kadugli fügt eine neue Dimension hinzu. Er zeigt, dass technologische Asymmetrie keine Rolle mehr spielt. Wer eine Drohne steuern kann, kann eine UN-Basis treffen. Schutzkonzepte, die auf Checkpoints und Patrouillen setzen, greifen ins Leere.
Guterres warnt – doch die UNO bleibt handlungsarm
Die Einstufung als mögliches Kriegsverbrechen ist ein juristischer Hebel, aber kein militärischer Schutz. Sanktionen, Ermittlungen, Resolutionen – all das wirkt langsam in einem Krieg, der sich täglich radikalisiert. Die UNO ist auf die Kooperation der Konfliktparteien angewiesen. Genau diese Kooperation existiert im Sudan nicht mehr.
Der Angriff offenbart ein strukturelles Dilemma: Friedensmissionen werden entsandt, ohne dass Frieden in Sicht ist. Sie sollen stabilisieren, wo keine politische Ordnung existiert. Und sie bleiben, auch wenn sie zur Zielscheibe werden.
Ein Angriff, der weit über Kadugli hinausreicht
Was in Kadugli geschah, ist mehr als ein tragischer Vorfall. Es ist ein Lackmustest für die Zukunft internationaler Friedenssicherung. Wenn selbst UN-Blauhelme nicht mehr als unantastbar gelten, verliert das System seine letzte Schutzbehauptung.
Der Sudan zeigt, wie schnell aus Schutzlosigkeit Verwundbarkeit wird – und aus Verwundbarkeit politische Bedeutungslosigkeit. Sechs tote Soldaten machen deutlich, dass der Krieg nicht nur Menschenleben kostet, sondern auch die Autorität der internationalen Gemeinschaft.



