Friedrich Merz wählt klare Worte. „Wir sind kein Spielball von Großmächten“, sagt der Bundeskanzler im Bundestag – und setzt damit den Ton für eine Regierungserklärung, die weniger verwalten als verorten will. Kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel positioniert Merz Deutschland außenpolitisch selbstbewusst, innenpolitisch defensiv und wirtschaftlich nüchtern. Die Weltordnung sei aus den Fugen geraten, Deutschland dürfe dabei nicht passiver Zuschauer sein.
„Wir sind kein Spielball von Großmächten“, sagt der Bundeskanzler im Bundestag
Deutschland soll gestaltende Macht bleiben
Merz beschreibt eine internationale Lage, die er als strukturellen Bruch begreift. Aus Ordnung sei Unordnung geworden, getrieben vom russischen Angriffskrieg, wachsendem Protektionismus und ökonomischer Schwäche in Europa. Deutschland müsse verhindern, „zum Opfer dieser Prozesse“ zu werden. Die Antwort darauf sei eine stärkere außen- und sicherheitspolitische Rolle.
Er verweist auf den deutlich erhöhten Verteidigungshaushalt und formuliert Abschreckung als strategisches Ziel. Deutschland handle nach dem Prinzip, selbst so stark zu sein, „dass uns niemand angreift“. Die Rückkehr auf die internationale Bühne sei kein Anspruch, sondern eine Notwendigkeit.

Die Ukraine bleibt Prüfstein europäischer Sicherheit
In der Ukraine-Frage bleibt Merz eindeutig. Die Sicherheit Europas sei untrennbar mit dem Schicksal der Ukraine verbunden. Er dankt den Ukrainern ausdrücklich für ihren Abwehrkampf und kündigt an, sich beim EU-Gipfel für die Nutzbarmachung eingefrorener russischer Vermögenswerte einzusetzen.
Der Kanzler räumt ein, dass es in Europa erhebliche Bedenken gegen diesen Schritt gibt. Doch der Druck auf Wladimir Putin müsse weiter steigen, um Verhandlungen überhaupt zu ermöglichen. Ohne zusätzlichen ökonomischen Hebel werde Moskau nicht einlenken.
Merz kontert AfD und vermeidet einfache Antworten
Besonders deutlich wird Merz im Schlagabtausch mit der AfD. Auf die Frage, ob er deutsche Soldaten im Rahmen von Sicherheitsgarantien in die Ukraine entsenden wolle, verweigert er ein Ja-oder-Nein. Das ist kein Ausweichen, sondern Absicht.
Merz spricht von laufenden Gesprächen mit europäischen Partnern und den USA über Sicherheitsgarantien im Falle eines Waffenstillstands. Über Details könne und wolle er nicht spekulieren. Die Fehler von 2014 – die Ukraine ohne belastbare Garantien zu lassen – dürften sich nicht wiederholen. Der Applaus im Plenum zeigt: Die Strategie, Komplexität gegen populistische Verkürzung zu setzen, geht auf.
Europas Position liegt auf dem Tisch – Russland ist am Zug
Inhaltlich ordnet Merz die jüngsten Verhandlungen klar ein. Europa, die Ukraine und die USA hätten eine gemeinsame Position formuliert. Nun sei Russland am Zug. Die Aufforderung, den Krieg zu beenden, werde vor allem von den Amerikanern übermittelt werden.
Hintergrund sind Pläne für eine von Europa geführte multinationale Truppe, die nach einem Waffenstillstand die ukrainischen Streitkräfte unterstützen und die Sicherheit von Luftraum und Seewegen gewährleisten soll – auch durch Operationen innerhalb der Ukraine. Merz vermeidet Details, signalisiert aber grundsätzliche Offenheit.
Innere Sicherheit rückt stärker in den Fokus
Auch innenpolitisch schlägt Merz einen sicherheitspolitischen Ton an. Auf eine Frage zu russlandfreundlicher Desinformation spricht er von einer „beständig zunehmenden Bedrohung“. Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats sei eine Konsequenz daraus.
Die Bundesregierung prüfe zudem, Angriffe aus dem Ausland digital zurückzuverfolgen und gegebenenfalls aktiv zu stören. Merz deutet an, dass dafür auch neue Rechtsgrundlagen geschaffen werden könnten. Die Botschaft ist klar: Der Staat will wehrhafter werden – auch im digitalen Raum.

Wirtschaftskrise tiefer als erwartet
In der Wirtschaftspolitik klingt Merz ungewohnt selbstkritisch. Die Aufgabe, Wachstum und Beschäftigung wiederzubeleben, sei möglicherweise schwerer als ursprünglich angenommen. Zwar verweist er auf beschlossene Steuerentlastungen und sinkende Energiekosten im kommenden Jahr, doch räumt er ein: Das reicht nicht.
Die Bundesregierung plane einen Industriestrompreis, eine Kraftwerkstrategie und den Neubau von Gaskraftwerken. Ziel sei es, die Standortbedingungen spürbar zu verbessern. Der Kanzler macht keinen Hehl daraus, dass der politische Handlungsspielraum enger ist als gedacht.
Wohnungsmarkt und Klimapolitik bleiben Konfliktfelder
Beim Thema Mieten verweist Merz auf bereits beschlossene Maßnahmen zur Beschleunigung des Wohnungsbaus. Entscheidend sei, das Angebot zu erhöhen. „Man kann nur das vermieten, was da ist“, sagt er – eine klare Absage an rein regulative Lösungen.
In der Klimapolitik betont der Kanzler Technologieoffenheit. Klimaneutralität bleibe Ziel, doch der Weg dorthin müsse breiter gedacht werden. Die Abkehr der EU-Kommission vom strikten Verbrenner-Aus begrüßt Merz ausdrücklich. Industrie und Klimaschutz müssten gemeinsam gedacht werden, nicht gegeneinander.
Afghanen-Aufnahme unter Sicherheitsvorbehalt
Beim Thema Afghanistan zieht Merz eine weitere Linie. Nach seiner Kenntnis gebe es unter den derzeit wartenden Afghanen keine ehemaligen Ortskräfte mit verbindlicher Zusage mehr. In anderen Fällen gelte: Rechtsverbindliche Zusagen würden eingehalten – aber nur nach gründlicher Sicherheitsprüfung.
Der Bundesinnenminister habe dabei seine volle Unterstützung. Deutschland müsse wissen, „wen wir nach Deutschland einladen, hier auf Dauer zu bleiben“. Humanitäre Verpflichtung und staatliche Verantwortung stellt Merz demonstrativ nebeneinander.
Eine Regierungserklärung mit doppelter Botschaft
Merz präsentiert sich als Kanzler der Klarheit nach außen und der Nüchternheit nach innen. Deutschland soll führen, aber nicht überfordern. Sicherheit, Wirtschaft und Souveränität werden dabei zu miteinander verknüpften Themen.
Die vielleicht wichtigste Botschaft bleibt unausgesprochen, aber deutlich spürbar: Die Zeit der einfachen Antworten ist vorbei – und genau das will Merz politisch zum Argument machen.



