Zölle verpuffen – und niemand weiß genau, warum
0,1 Prozent. Das ist der Anstieg der US-Verbraucherpreise im Mai gegenüber dem Vormonat. Für viele Beobachter ist das eine Überraschung.
Schließlich hatten Experten erwartet, dass Donald Trumps Zölle auf chinesische und europäische Produkte die Inflation anheizen würden.
Doch bislang bleibt der große Preisschub aus – zum Ärger des Präsidenten und zur Verwirrung der Märkte.
Die Federal Reserve, ohnehin vorsichtig, sieht sich damit in einer neuen Lage. Der Spielraum für Zinssenkungen ist da, doch Fed-Chef Jerome Powell zögert. Nicht aus Mangel an Daten, sondern wegen politischer und fiskalischer Fallstricke.
Der Lagerpuffer-Effekt – noch ist nicht alles im Preis
Ein Grund, warum sich die Zölle bislang nicht in den Preisen niederschlagen, ist profan: Die Unternehmen haben auf Vorrat produziert. Viele Importeure hatten ihre Lager vor dem Inkrafttreten der Zölle randvoll gefüllt, um Preiserhöhungen zu verzögern.
Dieser sogenannte Lagerpuffer funktioniert wie ein Stoßdämpfer für die Konsumenten – aber eben nur vorübergehend.
„Die Preiswirkung kommt noch“, warnt Bernd Weidensteiner von der Commerzbank. Seine Prognose: Im Laufe des Jahres dürften die Preisschocks nachwirken – wenn die Lager leer sind und neue Lieferungen unter den höheren Zollkosten kalkuliert werden müssen.
Die Fed: In der Zwickmühle zwischen Datenlage und Drohgebärde
Auf den ersten Blick spricht alles für Zinssenkungen: Die Inflation bleibt niedrig, das Wachstum kühlt sich ab, der Arbeitsmarkt zeigt erste Schwächen. Doch Jerome Powell dürfte am Mittwoch wohl erneut eine Zinspause verkünden. Warum?

Erstens: Die Fed möchte sich nicht politisch vereinnahmen lassen. Donald Trump fordert seit Monaten aggressiv niedrigere Leitzinsen – nicht zuletzt, weil er sich davon wirtschaftlichen Rückenwind für den Wahlkampf erhofft. Powell will demonstrieren, dass geldpolitische Entscheidungen nicht im Weißen Haus getroffen werden.
Zweitens: Zinssenkungen könnten dem US-Haushalt kurzfristig helfen – aber langfristig die Glaubwürdigkeit der Fed untergraben. Wenn die Zentralbank signalisiert, dass sie auf politische Zurufe reagiert, verliert sie ihre Unabhängigkeit. Für Investoren weltweit wäre das ein fatales Zeichen.
72 Milliarden Dollar Einnahmen – bei 1051 Milliarden Defizit
Das zweite Problem ist fiskalischer Natur. Zwar steigen die Zolleinnahmen – allein bis Mai hat die US-Regierung 72 Milliarden Dollar eingetrieben. Das klingt nach viel, ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Im selben Zeitraum belief sich das Haushaltsdefizit auf über eine Billion Dollar.
Zölle als Mittel zur Haushaltskonsolidierung zu betrachten, ist ein Trugschluss. Selbst hohe Importabgaben können strukturelle Fehlbeträge nicht kompensieren. Und wenn die Fed nun auch noch die Zinsen senkt, wird die Staatsverschuldung noch günstiger – ein weiterer Anreiz für die Regierung, weiter über ihre Verhältnisse zu leben.
Ein Schattenpräsident für die Fed?
Trumps Einflussversuche gehen aber noch weiter. Medienberichten zufolge will der Präsident „bald“ einen Nachfolger für Powell präsentieren – obwohl dessen Amtszeit noch bis Mai 2026 läuft.
Als möglicher Nachrücker wird Trumps Finanzminister Scott Bessent gehandelt. Die Gefahr: Ein „Schattenchef“ im Hintergrund könnte die Fed de facto entmachten und zur verlängerten Werkbank des Weißen Hauses machen.
Dabei ist klar: Der Präsident kann den Fed-Vorsitzenden nicht einfach entlassen. Doch der politische Druck ist immens. Trump sprach in der Vergangenheit offen darüber, wie er Powell „gefügig“ machen wolle – eine Ankündigung, die an den Finanzmärkten mit Alarmbereitschaft aufgenommen wurde.
Die Zinspolitik als Wahlkampfwaffe
Dass Zinsen und Wahlkampf verknüpft sind, ist kein neues Phänomen. Neu ist allerdings, mit welcher Offenheit die US-Regierung versucht, Einfluss zu nehmen. Zinssenkungen kämen nicht nur der Konjunktur, sondern auch der Wahlkampfbotschaft zupass: Trumps Wirtschaftspolitik wirkt – trotz Kritik.
Doch es gibt eine zweite Lesart: Wenn die Fed aus Angst vor politischem Druck falsch reagiert, könnte sie das Vertrauen der Investoren erschüttern. Ein Vertrauensverlust in die amerikanische Geldpolitik hätte Folgen – etwa für die Attraktivität von US-Staatsanleihen und die Stabilität des Dollars.
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