Das Problem beginnt mit wenigen Cents
Anna Berger aus Leipzig nutzt seit zwei Jahren Trade Republic. Einfach, bequem, günstig – so die Idee. Doch als sie Anfang des Jahres ihre Steuererklärung mit dem Programm WISO erledigen wollte, kam die Fehlermeldung.
Das Steuerprogramm schlug Alarm: Die Angaben zur Kapitalertragsteuer und zum Solidaritätszuschlag auf der Steuerbescheinigung des Brokers wichen von den erwarteten Werten ab.
Im Detail: Beim Soli fehlten 58 Cent, bei der Abgeltungsteuer knapp 8,75 Euro. Keine großen Summen – aber genug, um die Plausibilitätsprüfung von WISO aus dem Takt zu bringen.
Der Support von Trade Republic? Keine Antwort. Also wandte sich Berger an die Redaktion. Wie kann es sein, dass ein voll digitalisierter Neobroker mit solchen Differenzen arbeitet?
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Das systematische Problem der neuen Broker
Die Erklärung ist technisch – aber wichtig: Bei jedem Trade berechnet der Broker die Steuer. Und zwar sofort, transaktionsbasiert und auf volle Cent-Beträge gerundet.
Wer – wie Berger – viele kleine Trades tätigt, summiert am Jahresende mehrere Dutzend Rundungsabweichungen auf. So entstehen in Summe Differenzen, die einige Steuerprogramme irritieren.
„Gerade bei vielen kleinen Transaktionen entstehen über das Jahr häufig Rundungsdifferenzen. Das beobachten wir regelmäßig bei Brokern mit hoher Privatanlegerquote“, bestätigt Steuerberater Christian Neumann von der Kanzlei Steuerwerk in Hamburg.
Trade Republic selbst erklärt auf Anfrage: „Die Systeme berechnen und führen sämtliche Steuern korrekt ab. Unterschiede entstehen nur durch die Rundung pro Transaktion.“ Im Fall von Anna Berger lag die Gesamtabweichung damit im Cent- bis Ein-Euro-Bereich – für Steuerprogramme aber oft Grund genug, einen Fehler zu melden.

Warum WISO & Co. so sensibel reagieren
Die Steuerprogramme verarbeiten die Daten streng nach den Vorgaben der Finanzverwaltung. Kleinere Abweichungen akzeptiert etwa Elster – das amtliche Steuerportal – noch relativ großzügig, meist bis etwa einen Euro. Viele kommerzielle Programme, darunter auch WISO, prüfen hingegen härter.
Nach den aktuellen Vorfällen kündigt der Hersteller Buhl Data nun eine Anpassung an:
„Wir werden die Toleranz für Rundungsdifferenzen mit dem Juli-Update anheben, um übertriebene Fehlermeldungen künftig zu vermeiden“, erklärt eine Sprecherin gegenüber der Redaktion.
Die Haftungsfalle für Anleger: Wann Mitteilungspflichten greifen
Auch wenn die Differenzen gering erscheinen: Für Anleger bleibt das Thema heikel. Nach geltendem Steuerrecht haften grundsätzlich die Banken für korrekt abgeführte Abgeltungsteuer. Doch: Erkennen Steuerpflichtige selbst Unstimmigkeiten, müssen sie tätig werden.
„Sobald der Steuerpflichtige erkennt, dass die Steuerbescheinigung fehlerhaft sein könnte, reicht es nicht, sich auf das Dokument zu berufen“, warnt Steueranwalt Tobias Schäfer von der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg. „Wer grob fahrlässig unrichtige Angaben akzeptiert, kann im Extremfall wegen Steuerhinterziehung belangt werden.“
Eine Geringfügigkeitsgrenze gibt es nicht. Theoretisch kann bereits ein Cent Differenz die Pflicht zur Erklärung auslösen. In der Praxis wird jedoch danach bewertet, ob der Anleger die Abweichung erkennen konnte oder musste. „Je größer der Betrag, desto eher liegt ein erkennbarer Fehler vor“, so Schäfer.
Wenn der Support nicht reagiert: Was Anleger tun können
Wie aber sollen Anleger verfahren, wenn der Broker keine Rückmeldung liefert? Anna Berger jedenfalls erhielt auch nach mehreren Anfragen lediglich automatische Antworten. Hier bleibt am Ende oft nur der Weg über den Steuerberater oder das Finanzamt.
„Bei geringen Abweichungen unter einem Euro kann der Steuerpflichtige in der Regel die Steuerbescheinigung übernehmen“, erklärt Steuerberater Neumann. Werden größere Fehler vermutet, sollte eine schriftliche Korrektur beim Broker verlangt werden.
Kommt keine Reaktion, bleibt der Weg über die Steuererklärung: In Elster kann die Korrektur manuell eingegeben und mit einem Vermerk an das Finanzamt versehen werden. Das Finanzamt fordert dann die Detaildaten beim Broker an und korrigiert gegebenenfalls von Amts wegen.
Warum die digitalen Broker hier systembedingt anfälliger sind
Dass solche Probleme vor allem bei Neobrokern auftreten, ist kein Zufall. Anders als klassische Großbanken, die häufig auf tägliche Sammelabrechnungen setzen, rechnen Trade Republic und ähnliche Plattformen jeden Trade separat ab. Die Rundungsabweichungen kumulieren sich dadurch deutlicher. Technisch korrekt – aber für Steuerprogramme erklärungsbedürftig.
„Die Digitalisierung vereinfacht vieles, aber sie bringt auch neue Schnittstellenprobleme mit sich“, sagt Steuerexperte Neumann. „In der Masse vieler Mikrotransaktionen fallen technische Ungenauigkeiten stärker auf.“
Das Grundproblem liegt im System
Seit der Einführung der Abgeltungsteuer 2009 führen Banken die Steuer automatisch ab. Anleger können sich meist auf die Bescheinigungen verlassen – es sei denn, es fällt eine Abweichung auf. Die Rundungsproblematik zeigt: Selbst bei vollautomatischen Prozessen bleiben manuelle Kontrollen wichtig.
Für Anleger gilt daher: Steuerbescheinigung genau prüfen, bei Abweichungen aktiv werden – und bei ausbleibender Broker-Reaktion das Finanzamt informieren. Nur so lassen sich rechtliche Risiken vermeiden.
Denn in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Die Verantwortung für die Steuer bleibt am Ende immer beim Steuerpflichtigen.
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