Aus dem Backofen an die Börse: Eine Branche im Höhenflug
Wer heute durch deutsche Supermärkte schlendert, kommt an ihr kaum vorbei: der Tiefkühlpizza. Was einst als Notlösung für Kochfaule galt, ist zur tragenden Säule eines Milliardenmarktes geworden.
Über 395.000 Tonnen wurden 2024 allein im Einzelhandel verkauft – dazu rund 30.000 Tonnen in Gastronomie, Betriebskantinen und Lieferservices. Die Zahlen des Deutschen Tiefkühlinstituts (DTI) sind eindeutig: Die Pizza ist nicht nur ein Dauerbrenner, sie ist Wachstumstreiber Nummer eins in der TK-Branche.
Und das nicht etwa mit billiger Massenware – sondern zunehmend mit hochwertiger, oft doppelt so teurer Premiumware. Das Erfolgsrezept? Ein Mix aus Convenience, Preissensibilität und überraschend ernst gemeinter Qualitätsverbesserung.

Vom Billigprodukt zur Premium-Kategorie
Dr. Oetker brachte 1970 die erste Tiefkühlpizza in deutschen Handel. „Pizza alla Romana“ hieß das Experiment – das schnell zum Massenphänomen wurde.
Heute machen Pizza & Co. laut Schätzungen bis zu 40 % des Gesamtumsatzes des Oetker-Lebensmittelbereichs aus. Und längst ist aus dem Einheitsfladen eine kulinarische Spielwiese geworden: mit Fermentationsphasen, Tomaten aus der Emilia-Romagna und Vorteigrezepturen, wie sie einst italienischen Familienbetrieben vorbehalten waren.
Die Branche hat begriffen: Wenn schon Fertigessen, dann wenigstens gut. Gustavo Gusto – ein bayerisches Start-up, gegründet 2016 in Passau – hat vorgemacht, wie sich mit „echter Pizzeriaqualität“ sogar ein dritter Platz im Markt erobern lässt. Trotz Preisen von über fünf Euro pro Stück.
Die Großen ziehen nach – und investieren in Teigzeit
Was als Premium-Nische begann, hat nun die Platzhirsche erfasst. Dr. Oetker kontert Gustavo Gusto mit neuen Produktlinien wie „La Mia Grande“ und „Suprema“, für die eigens eine neue Fertigungsstraße gebaut wurde – mit dreistufigem Teigprozess und ausgesuchten Belägen. Auch Wagner (Nestlé) setzt mit „Bella Napoli“ und nun der „Creazione“ auf mehr Frische, mehr Handwerk, mehr Storytelling.
Der Hintergrund: Das Premiumsegment wächst mit zweistelligen Raten. Laut Nielsen IQ verzeichnete TK-Pizza 2024 ein Absatz- und Umsatzplus von jeweils zehn Prozent – ein beachtlicher Wert für ein vermeintlich ausdefiniertes Produkt.

Convenience schlägt Küche – besonders bei jungen Zielgruppen
Zeitmangel, steigende Restaurantpreise und ein neues Verhältnis zur eigenen Küche treiben den Boom zusätzlich an. Zwei von drei Verbraucherinnen und Verbrauchern nennen laut Marktforschung mangelnde Energie oder Zeit als Hauptgrund für den Griff zur TK-Pizza. Bei den unter 35-Jährigen sind es sogar noch mehr – die Generation Convenience hat den Tiefkühlmarkt fest im Griff.
Und Pizza ist längst nicht allein: Der Tiefkühlverbrauch pro Kopf erreichte 2024 mit 50 Kilogramm einen neuen Höchstwert. Der Verzehr pro Haushalt überschritt erstmals die 100-Kilogramm-Marke.
Das entspricht einer Steigerung von fast 2,5 Millionen Tonnen innerhalb von nur zehn Jahren. Und: Der Umsatz der gesamten Tiefkühlbranche kletterte auf 22,6 Milliarden Euro – ein Sprung von mehr als 6 Milliarden Euro seit 2021.
Der Verzicht auf Frische – mit System
Was viele lange für einen kulinarischen Rückschritt hielten, ist heute ein Geschäftsmodell mit System: Statt Frischetheke heißt es jetzt Kühlregal, statt selbst gemachtem Teig kommen QR-Codes auf die Packung.

Die Branche professionalisiert sich, Markenbildung wird zentral, Start-ups drängen in Nischen, Handelsmarken experimentieren mit Ethno-Varianten, vegane Sorten und „Wohlfühlküche“.
Ein Beispiel: Das junge Unternehmen Freda verspricht nicht weniger als die „beste Tiefkühlpizza, die du je gegessen hast“ – mit handgelegten Zutaten und Clean-Label-Zutatenlisten. Die Nachfrage? Riesig. Händler berichten von stetig wachsendem Abverkauf trotz höherer Preispunkte.
Gewinner der Krise – und des Mangels
Der Siegeszug der Tiefkühlpizza ist nicht nur ein Konsumphänomen, sondern auch ein ökonomisches: In Zeiten von Fachkräftemangel, gestresster Mittelschicht und Gastronomie auf Sparkurs bieten TK-Produkte Planbarkeit, Effizienz – und einen kalkulierbaren Wareneinsatz. Kantinen, Lieferdienste und Großküchen greifen immer häufiger zu tiefgekühlten Optionen, weil Personal fehlt.
Tiefkühlpizza ist damit nicht nur Alltagsretter im Privathaushalt, sondern längst auch systemrelevant im Außer-Haus-Markt.
Kein Ende in Sicht
Die Branche rechnet mit weiterem Wachstum. Neue Varianten, besseres Storytelling, kreative Kooperationen – und ein sich wandelndes Ernährungsverständnis machen die Tiefkühlpizza zur idealen Schnittstelle aus Preisbewusstsein, Lebensrealität und Genussanspruch. Was einst belächelt wurde, ist heute unternehmerisch hoch attraktiv.
Ob Bio, vegan, high-protein oder glutenfrei – wer sich anpasst, wächst. Und solange der Herd öfter ausbleibt als die Mikrowelle piept, bleibt auch das Pizza-Geschäft auf Dauer heiß.
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