Ein Schiff geht von Bord – und nimmt den Konzernkurs mit
Thyssenkrupp zieht den wohl bedeutendsten Schritt seiner jüngeren Geschichte durch: den Börsengang seiner Marinesparte TKMS (Thyssenkrupp Marine Systems). Am 20. Oktober 2025 wird das traditionsreiche Marinegeschäft erstmals eigenständig an der Frankfurter Börse notiert – ein symbolträchtiger Moment für den jahrzehntelang fragmentierten Industriekonzern.
Für die Anleger bedeutet das eine konkrete Veränderung: Für je 20 thyssenkrupp-Aktien gibt es automatisch eine neue TKMS-Aktie, eingebucht direkt ins Depot. Insgesamt werden 49 % der rund 63,5 Millionen TKMS-Aktien an bestehende Aktionäre verteilt. Thyssenkrupp selbst behält mit 51 % die Mehrheit, bleibt also strategischer Hauptaktionär – zumindest vorerst.
Ein Schritt mit Geschichte – und Risiko
Was nach einer klaren Struktur klingt, ist in Wahrheit eine hochkomplexe Operation. Die Abspaltung der Marinesparte, die jahrzehntelang als Prestigeprojekt und Sorgenkind zugleich galt, markiert das Ende einer langen Konzern-Ära.
TKMS, berühmt für seine U-Boot-Technologie und Marinefregatten, war einer der letzten verbliebenen industriellen Kerne im Thyssenkrupp-Konglomerat. Nun soll das Geschäft eigenständig atmen – und auf dem Kapitalmarkt beweisen, dass es alleine schwimmen kann.
Für Thyssenkrupp ist es eine Wette. Der Börsengang wird intern als Befreiungsschlag bezeichnet, extern jedoch als Zeichen für den anhaltenden Druck, sich endlich profitabler aufzustellen. Das Traditionsunternehmen kämpft seit Jahren mit hohen Kosten, trägen Strukturen und stagnierender Rendite.
Freude über Gratisaktien, Sorge um Zukunft
An der Börse sorgte die Ankündigung nicht für Euphorie: Die Thyssenkrupp-Aktie fiel am Montag um rund 0,6 % auf 12,83 Euro. Das zeigt: Anleger honorieren zwar die klare Richtung, trauen dem Umbau aber noch nicht über den Weg. Der Markt reagiert vorsichtig – zu oft schon hat Thyssenkrupp ambitionierte Versprechen nicht eingelöst.
Die Abspaltung selbst wird technisch sauber vorbereitet: Der Stichtag für die Transaktion ist der 18. Oktober, also der kommende Freitag. Danach erfolgt die Einbuchung der neuen TKMS-Aktien automatisch. Analysten rechnen mit einem herausfordernden Start an der Börse, da das Umfeld für Rüstungsaktien zwar grundsätzlich positiv ist, Anleger aber genaue Einblicke in die Gewinnentwicklung und Margen des Geschäfts fordern.
TKMS – von der Werft zur Verteidigungsaktie
Mit der Eigenständigkeit rückt TKMS in eine neue Liga. Das Unternehmen ist einer der wichtigsten europäischen Anbieter von U-Booten, Marineschiffen und Sicherheitstechnologien, beschäftigt über 6.500 Mitarbeiter und erzielte zuletzt einen Umsatz von rund 2,5 Milliarden Euro.
In Zeiten geopolitischer Spannungen – von der Ukraine bis zum Indopazifik – wächst die Nachfrage nach moderner Verteidigungstechnik rapide. TKMS ist in Deutschland der zentrale Zulieferer der Marine und profitiert von steigenden Verteidigungsbudgets. Dennoch steht das Unternehmen vor einem Spagat: Wachstum ja, aber mit politisch heiklem Auftrag.
Zukunft ungewiss – aber strategisch alternativlos
Die Abspaltung ist weniger ein Befreiungsschlag als eine strategische Notwendigkeit. Thyssenkrupp will sich auf wenige rentable Kernsegmente konzentrieren: Marine, Werkstoffhandel und grüne Wasserstofftechnologie. Der Konzernumbau soll die Kapitalstruktur verbessern und Investoren anlocken, die bisher vor der Komplexität zurückschreckten.
Doch der Weg ist riskant. Sollte TKMS an der Börse schwächeln, könnte der geplante Spin-off mehr Druck als Entlastung erzeugen. Schon heute warnen Analysten: Ohne nachhaltige Rentabilität bleibt der Umbau kosmetisch.
Ein symbolischer Schritt mit offenem Ausgang
Der Börsengang der Marinesparte ist für Thyssenkrupp mehr als eine Transaktion – er ist ein Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit des Konzerns. Die Essener wollen zeigen, dass aus einem schwerfälligen Industrieverbund wieder ein fokussierter, moderner Technologiekonzern werden kann.
Doch wie bei jedem Schiff, das den sicheren Hafen verlässt, bleibt die Frage: Wird TKMS die raue See des Kapitalmarkts meistern – oder von alten Wellen eingeholt werden?
Eines steht fest: Der 20. Oktober wird für Thyssenkrupp ein Tag der Wahrheit.
