Die Diagnose fiel ernüchternd aus: Deutschlands Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit steigt, die Investitionsbereitschaft sinkt. Bei seiner ersten Kabinettsklausur seit Amtsantritt hat Kanzler Friedrich Merz (CDU) in der Villa Borsig die Wirtschaft zur Chefsache erklärt – und zugleich das ganze Land auf eine unbequeme Wahrheit eingestimmt.
Vom „zweiten Wirtschaftswunder“, das Olaf Scholz noch 2023 beschwor, ist keine Rede mehr. Statt Euphorie prägt ein Krisenmodus die politische Agenda.
Symbolort Villa Borsig
Dass Merz seine Regierung nicht ins Schloss Meseberg, sondern in die historische Villa am Tegeler See bat, war kein Zufall. Der CDU-Chef wollte ein Signal setzen: weg von alten Ritualen, hin zu einer Atmosphäre der Erneuerung. Doch die Themen, die auf dem Tisch lagen, waren alles andere als glamourös.

Es ging um das Kernproblem: Ohne Wachstum keine Stabilisierung der Renten, keine Aufrüstung, keine Digitalisierung, keine Haushaltskonsolidierung. Kurz: Ohne wirtschaftlichen Aufschwung droht Merz’ Regierungsprojekt zu scheitern.
Experten mit Warnungen
Zu den geladenen Gästen gehörten Markus Brunnermeier, Ökonom an der US-Eliteuniversität Princeton, sowie Manager von Schwarz-Gruppe und Lufthansa. Ihre Botschaft: Deutschland hat ein strukturelles Problem. Das einstige Erfolgsmodell – Importe veredeln, Exporte steigern – funktioniert nur in stabilen Zeiten. Doch die Welt ist instabil geworden. Handelskonflikte, geopolitische Spannungen und eine stockende Globalisierung setzen den Standort unter Druck.

Brunnermeiers Urteil: Deutschland müsse „resilienter“ werden. Heißt: weniger Bürokratie, mehr Handelsabkommen, und notfalls schmerzhafte Einschnitte – etwa beim Kündigungsschutz für Besserverdienende. Eine Botschaft, die Merz und sein Kabinett aufnehmen, aber politisch nur schwer verkaufen können.
Die Stimmung im Land
Merz weiß, dass sein größtes Hindernis nicht allein die Zahlen sind, sondern die Stimmung. Statt Aufbruch herrscht Skepsis. Statt Zukunftsvertrauen dominiert die Angst, abgehängt zu werden. Die Ministerrunde sprach offen von „Veränderungsmüdigkeit“ in der Gesellschaft. Ein Befund, der fatal ist: Ohne Akzeptanz in der Bevölkerung lassen sich Reformen kaum durchsetzen.
Dabei ist den meisten klar, dass die Umbrüche längst Realität sind: Digitalisierung, Automatisierung, Künstliche Intelligenz – sie verändern Arbeit und Alltag tiefgreifend. Und das alte Versprechen, dass es jede Generation besser hat als die vorige, wirkt zunehmend brüchig.
Merz Anspruch, Merz Risiko
„It’s the economy, stupid!“ – mit Clintons Wahlkampfslogan macht Merz keinen Hehl daraus, dass für ihn alles auf die wirtschaftliche Trendwende hinausläuft. Doch der Spielraum ist eng: 172 Milliarden Euro Haushaltsloch bis 2029, steigende Sozialausgaben, geopolitische Unsicherheit.
Am Ende der Klausur versprach Merz „konkrete Entscheidungen“, doch die Erwartungen sind hoch, die Skepsis ebenso. Sollte der Kanzler die Trendwende nicht schaffen, droht ihm dasselbe Schicksal wie seinen Vorgängern: eine Regierung, die von Krisen getrieben wird, statt selbst den Kurs zu bestimmen.
Die Botschaft der Villa Borsig ist klar: Merz setzt alles auf Wachstum. Aber ob Deutschland ihm folgt – das ist die eigentliche offene Frage.
