Ein seltenes Bündnis in der SPD
Dass sich die linke Parteijugend und der konservative Seeheimer Kreis auf ein gemeinsames Ziel einigen, ist ungewöhnlich. Doch in einem Punkt herrscht seltene Einigkeit: Große Erbschaften sollen stärker besteuert werden. Beide Lager haben eigene Reformpapiere vorgelegt, die das Gleiche fordern – gerechtere Regeln beim Vererben und Verschenken von Vermögen.
„So wie es ist, kann es nicht bleiben“, sagt der SPD-Abgeordnete Parsa Marvi, der das Papier der Seeheimer mitverfasst hat. „Große Unternehmensvermögen können nahezu steuerfrei übertragen werden, während kleinere Erbschaften im Verhältnis stärker belastet werden.“ Für ihn ist das ein klarer Systemfehler.
Kapital, Herkunft und die Gerechtigkeitsfrage
Die Jusos formulieren ihre Kritik drastischer. In ihrem Antrag heißt es: „Dieser Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit droht den demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu zerstören.“ Dahinter steckt die Sorge, dass sich immer mehr Menschen vom Versprechen sozialer Aufstiegschancen verabschieden.
Während Arbeitnehmer Steuern auf jeden verdienten Euro zahlen, können Familienbetriebe und große Vermögen teils Milliardenwerte fast steuerfrei übertragen. Für die SPD ist das längst kein Randthema mehr, sondern eine Frage der Glaubwürdigkeit: Wer über Einsparungen beim Bürgergeld diskutiert, muss erklären können, warum Reiche geschont werden.
Seeheimer mit klarer Analyse
Die Seeheimer argumentieren nüchterner, aber nicht weniger deutlich. In ihrem Papier heißt es: „Mittlerweile stammt in Deutschland über die Hälfte des Privatvermögens nicht mehr aus eigener Leistung, sondern aus ererbtem oder übertragenem Vermögen – Tendenz steigend.“
Das sei gefährlich, weil sich so nicht nur Geld, sondern auch Chancen vererben. Wer Vermögen hat, kann Bildung, Wohneigentum oder Kapitalmarktinvestitionen weitergeben – wer nichts hat, bleibt außen vor. Die Folge: soziale Spaltung und wachsender Unmut.
Alte Debatte, neue Dringlichkeit
Die Erbschaftssteuer ist in Deutschland ein politischer Dauerbrenner – und ein juristisches Minenfeld. Immer wieder wurde sie reformiert, verwässert, angepasst. Besonders Betriebsvermögen genießen weitreichende Ausnahmen, um Arbeitsplätze zu sichern. Doch Kritiker sagen: Diese Privilegien sind längst zu großzügig und werden gezielt ausgenutzt.
Die SPD will diese Ausnahmen nun begrenzen, ohne den Mittelstand zu treffen. Große Erbschaften sollen stärker herangezogen werden, kleine und mittlere dagegen entlastet. Ob das gelingt, hängt allerdings auch vom Koalitionspartner FDP ab – und deren Sympathien für Steuererhöhungen sind bekanntlich überschaubar.
Jusos drängen auf Profil
Juso-Chef Philipp Türmer nutzt die Debatte, um die Sozialdemokraten an ihre Wurzeln zu erinnern. „Nach einem halben Jahr tänzelt auch diese Koalition um viele Baustellen herum, anstatt auf drängende Gerechtigkeitsfragen tatsächliche Antworten zu liefern“, sagt er.
Er fordert eine SPD, die sich „ihrer enormen Bedeutung bewusst“ ist und ihre Werte wieder selbstbewusst vertritt. Zwischen den Zeilen klingt das wie eine Warnung an die Parteiführung: Wenn die SPD ihre soziale Handschrift verliert, verliert sie auch ihr Profil.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Ob die SPD ihre Forderung durchsetzen kann, bleibt offen. Doch eines zeigt die Debatte: Die Partei ringt wieder um ihr Selbstverständnis. Nach Jahren der Kompromisse will sie offenbar wieder über Umverteilung sprechen – und das nicht nur in Wahlkampfzeiten.
Der Satz „So wie es ist, kann es nicht bleiben“ ist dabei mehr als ein Zitat. Er beschreibt das Dilemma der SPD ziemlich treffend: Zwischen Regierungsrealität und Gerechtigkeitsanspruch, zwischen Haushaltssperre und Hoffnung auf Veränderung.
Die Sozialdemokraten haben das Thema Gerechtigkeit wiederentdeckt – vereint in der Analyse, aber noch ohne Fahrplan. Sollte es ihnen gelingen, eine glaubwürdige Reform auf den Weg zu bringen, könnte das ein seltenes Signal sein: dass die SPD noch weiß, wofür sie einmal stand.

