Ein Apparat, der sich selbst beschäftigt
25 Milliarden Euro – das ist keine Zahl, bei der man kurz mit den Schultern zuckt und weiterscrollt. Es ist die Summe, die unsere Sozialversicherungen jedes Jahr nur für ihre eigene Verwaltung ausgeben.
Keine Leistungen. Kein Cent für Medikamente, Pflege, Kurse, Umschulungen oder Rentenzahlungen. Sondern: Ordner, Server, Schnittstellen, Bescheide, Sachbearbeiter, Gutachter, Gremien, Aktenberge. Willkommen im Maschinenraum des deutschen Sozialstaats.
Was viele nicht wissen: Die Verwaltungskosten fressen heute mehr Geld als Elterngeld, Wohngeld und BAföG zusammen. Kein Witz.
Krankenkassen: 94-mal dasselbe
Allein die gesetzlichen Krankenkassen schlagen mit elf Milliarden Euro zu Buche. Warum? Weil es davon in Deutschland noch immer 94 verschiedene gibt – mit je eigenem Vorstand, eigener IT, eigenem Callcenter und eigenem Bonusheft.
Klingt nach Planwirtschaft – ist aber Realität. Dabei waren es 1970 sogar über 1.800. Und noch immer hat niemand den Mut, einmal ordentlich aufzuräumen.
Die Idee dahinter: Wettbewerb. Die Realität: Redundanz.
Arbeitslosenversicherung: Beratung mit Nebenkosten
Fünf Milliarden Euro Verwaltungsaufwand entfallen auf die Arbeitslosenversicherung. Hier ist die Verwaltungskostenquote mit 14 Prozent besonders hoch – also fast jeder siebte Euro geht für die Organisation drauf.

Die Bundesagentur verweist auf individuelle Betreuung, persönliche Beratung, Maßnahmeplanung, Fördermittelprüfung. All das stimmt – und ist dennoch Ausdruck eines Systems, das komplexer geworden ist, als es sein müsste.
Denn je mehr Einzelfall, desto mehr Dokumentation. Je mehr Förderung, desto mehr Kontrolle. Und am Ende wird oft mehr über Formulare geredet als über Perspektiven.
Rentenversicherung: Effizient – aber nicht gerecht
Die Rentenkasse ist mit 1,2 Prozent Verwaltungskostenquote vergleichsweise schlank unterwegs. Sie zahlt pünktlich, digitalisiert solide, ist strukturell halbwegs aufgeräumt.
Und trotzdem gibt es ein Gerechtigkeitsproblem: Viele Selbstständige zahlen nicht ein, sind aber trotzdem mit im System – indirekt. Der Mittelständler, der Monat für Monat fünfstellige Beträge überweist, bekommt später vielleicht keinen Cent. Weil er nicht pflichtversichert war. Klingt absurd? Ist es auch.
Dulgers Appell: Mehr Effizienz, mehr Mut
Rainer Dulger, Präsident der Arbeitgeberverbände, bringt es auf den Punkt: „Das ist keine Kleinigkeit.“ Und er hat recht. Wir reden nicht über Luxussanierungen oder Prestigeprojekte, sondern über den täglichen Grundbetrieb unseres Sozialstaats. Und der ist zu teuer, zu träge, zu verkopft.
Dulger fordert: Straffere Strukturen. Mehr Digitalisierung. Weniger Parallelwelten. Und vor allem: Ein System, das sich wieder am Menschen orientiert – nicht an seinen eigenen Aktenwegen.
Was sich ändern müsste – aber keiner anfängt
Eigentlich liegt alles auf dem Tisch. Die Zahlen. Die Missstände. Die technischen Möglichkeiten. Nur der Wille fehlt.
Warum? Weil jede Änderung in ein Wespennest sticht: Zuständigkeiten, Institutionen, Besitzstände. Ein Zusammenlegen von Krankenkassen? Einheitliche Plattformen? Automatisierte Verfahren? Klingt vernünftig. Ist politisch aber kaum durchsetzbar. Weil jeder Umbau Jobs, Posten und Einfluss kostet.
Und so bleibt es oft beim Ruf nach „mehr Effizienz“ – während draußen die Beiträge steigen und innen die Bürokratie blüht.
Ein Staat, der zu viel an sich selbst glaubt
Die Sozialversicherungen waren einst das Versprechen eines solidarischen Deutschlands. Heute laufen sie Gefahr, sich in ihrer eigenen Komplexität zu verlieren. Sie produzieren keine Leistungen, sondern Arbeit für sich selbst.
Und wer sich durch Formulare kämpft, Anträge stellt, auf Bescheide wartet, der merkt irgendwann: Es geht hier nicht mehr um Vertrauen, sondern um Zuständigkeit.
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