Rote Kiste statt blauem Bildschirm
8:10 Uhr, Klassenzimmer der 6b in Köln-Godorf. Die Schüler kommen herein, sagen kaum ein Wort und legen ihre Smartphones schweigend in ein rotes Plastikgestell – die sogenannte „Handy-Garage“. Danach nehmen sie Platz, holen Mathehefte heraus, los geht’s.
So läuft das jeden Tag. An der Johannes-Gutenberg-Realschule gilt: Handy abgeben, bevor es losgeht. Nicht nur im Unterricht, auch in den Pausen. Lehrer Robin Scholl, 30, findet: „So ruhig war’s früher nie.“
Schluss mit dem digitalen Rauschen
Die Schule hat durchgezogen, was viele andere noch diskutieren: ein klares, durchgängiges Handyverbot. Keine Ausnahmen, keine halbgaren Regeln. Schulleiter Andreas Koch sagt:
„Es war einfach zu viel. Zu viel Ablenkung, zu viele Konflikte, zu viel Mist in den Chats.“
Und damit meint er nicht nur TikTok und Instagram. In WhatsApp-Gruppen kursierten Nazi-Parolen, pornografische Inhalte und beleidigende Fotos. Cybermobbing ist längst kein Randphänomen mehr – es passiert mitten im Schulalltag.

Vom liberalen Ansatz zur klaren Linie
Lehrer Scholl war anfangs selbst gegen harte Regeln. „Ich dachte, ein bisschen Eigenverantwortung kriegen die schon hin“, sagt er. Doch das Gegenteil trat ein: ständige Ablenkung, Diskussionen, Unterrichtsstörungen. Also zog die Schule Konsequenzen – Schritt für Schritt.
Zuerst war die Nutzung im Unterricht verboten, aber in den Pausen erlaubt. Das funktionierte nicht. Dann mussten erwischte Schüler ihre Handys beim Lehrer abgeben – was regelmäßig zu Streit führte. Heute geben alle das Gerät morgens ab. Und siehe da: Der Streit ist weg.
Digitale Abstinenz mit Nebenwirkungen
Natürlich finden das nicht alle super. Die 15-jährige Zehra Turkut aus der 9. Klasse sagt: „Wenn man in der Pause allein ist, fehlt das Handy schon. Es lenkt halt ab.“ Aber auch sie gibt zu: „Im Unterricht ist’s konzentrierter.“
Klar ist: Ein völliger Entzug wird das Problem nicht lösen. Nach Schulschluss greifen alle wieder zum Handy – das weiß auch Schulleiter Koch. „Aber es geht darum, die Zeit in der Schule zu schützen“, sagt er. „Als einen Ort, an dem der Kopf wieder atmen kann.“
Was Dänemark schon bereut, steht Deutschland noch bevor
Andere Länder sind da schon weiter. In Dänemark hat sich die Regierung inzwischen für den früheren Digitalwahn entschuldigt. Schüler seien zu „Versuchskaninchen“ gemacht worden, sagte Bildungsminister Tesfaye. Jetzt werden private Handys an Schulen verboten – gesetzlich.
Auch Schweden und Frankreich gehen den gleichen Weg. Und in Großbritannien zeigen Studien, dass Schüler – vor allem aus bildungsfernen Haushalten – von einem Verbot besonders profitieren.

Deutschland dagegen? Hängt in der föderalen Warteschleife. Jedes Bundesland entscheidet selbst. Bremen und Hessen machen Tempo. In NRW, Berlin oder Bayern entscheidet jede Schule. Einheitliche Linie? Fehlanzeige.
Fußball statt Filter, Uno statt YouTube
An der Realschule in Köln zeigen sich die Folgen der neuen Regelung nicht nur im Unterricht, sondern auch auf dem Pausenhof. „Die Kinder sind wieder aktiver“, sagt Koch. Fußball, Tischtennis, Uno – ja, Uno! Es gibt sogar eine eigene Pausen-Uno-AG.
Und: Die Schüler reden wieder mehr miteinander. Nicht über Chats, sondern von Angesicht zu Angesicht. „Man merkt, wie die Energie anders wird“, sagt Lehrer Scholl. „Die machen wieder echten Quatsch.“
Regelbruch? Natürlich. Aber das gehört dazu
Dass sich trotzdem nicht alle an die Regeln halten, überrascht niemanden. Scholl zeigt beim Interview aus dem Fenster – zwei Jungs verstecken sich mit ihren Handys hinter einem Baum. Er kennt sie natürlich.
„So ist das eben“, sagt Schulleiter Koch. „Manche fahren auch bei Rot. Wichtig ist, dass die große Mehrheit mitzieht. Und das tut sie.“
Erziehung zur Smartphone-Disziplin – oder digitale Weltflucht?
Die Diskussion über Handyverbote ist mehr als eine pädagogische Maßnahme. Es ist eine Grundsatzfrage: Wie viel Bildschirm verträgt ein Kind? Was ist Schule – ein Ort der Konzentration oder eine Verlängerung der Timeline?
Koch sagt: „Die Kinder sind nicht das Problem. Wir Erwachsenen sind es auch nicht besser.“ Und damit hat er wohl recht. Nur: Die Schule hat die Chance, Dinge anders zu machen.