Ein Sprung über die Marke von 60 Dollar pro Feinunze galt lange als theoretisches Szenario – nun ist er Realität. Silber hat am Spotmarkt ein neues Rekordhoch erreicht und steigt damit schneller als jedes andere große Edelmetall. Der Preis legte am Dienstag um 3,2 Prozent zu und hat sich seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt. Während Gold den Run nicht annähernd mitgeht, wird Silber zum Rohstoff der Stunde.
Die Fed wird zum Katalysator einer ohnehin angespannten Lage
Der jüngste Preisschub ist eindeutig geldpolitisch getrieben. Händler rechnen fest damit, dass die US-Notenbank Federal Reserve am Mittwoch den Leitzins um 25 Basispunkte senkt. Damit nähert sich eine Phase, in der Zinsprodukte an Attraktivität verlieren – ein Umfeld, in dem Edelmetalle traditionell profitieren.

Für Silber ist der Effekt besonders stark, weil das Metall anders als Gold in weiten Teilen industriell genutzt wird. Eine Lockerung der Geldpolitik wirkt deshalb gleich doppelt: Sie stützt die Investmentnachfrage und verbessert zugleich die Finanzierungskonditionen für Industrien, die Silber in großen Mengen benötigen.
Das Angebot bleibt knapp – und China verstärkt den Druck
Während London zeitweise historisch niedrige Reserven meldete, entspannt sich die Lage dort inzwischen leicht. Doch die strukturelle Knappheit ist nicht verschwunden, sondern hat ihren Schwerpunkt verlagert. Die chinesischen Bestände sind inzwischen so niedrig wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr.
Für den globalen Silbermarkt ist das entscheidend: China ist nicht nur ein großer Verbraucher, sondern auch zentral für die physische Abwicklung. Wenn ausgerechnet hier die Lager leer laufen, wird jeder zusätzliche Nachfrageimpuls sofort in die Preise durchschlagen.
Der extreme Preisanstieg der vergangenen zwei Monate zeigt, wie eng der Markt geworden ist. Indien saugt große Mengen Silber für Schmuck und Industrie ab, während silbergedeckte ETFs zusätzlichen physischen Bedarf erzeugen. Die Folge ist ein Markt, der auf jede Nachricht aus der Geldpolitik oder der Lieferkette überreagiert.
Händler rechnen mit fortgesetzter Volatilität
Ob die Rally anhält, ist eng an die Fed-Entscheidung gebunden. Eine sichere Zinssenkung ist eingepreist, doch der Ausblick der Notenbank wird entscheidend: Zeichnet sich eine Serie weiterer Lockerungen ab, dürfte Silber seinen Vorsprung gegenüber Gold weiter ausbauen. Fällt der Ton restriktiver aus, könnte es zu einer kurzfristigen Gegenbewegung kommen.
Die Kombination aus industrieller Nachfrage, knappen Lagerbeständen und einem geldpolitischen Wendepunkt schafft ein außergewöhnliches Marktbild. Silber bleibt damit eines der volatilsten, aber zugleich spannendsten Rohstoffe des Jahres.
Am Ende steht ein Edelmetall, das längst nicht mehr nur als kleiner Bruder von Gold auftritt – sondern als eigener Konjunktur- und Angebotsindikator, der den globalen Markt präzise spiegelt.


