Einmal kurz angetippt, dann abgetaucht: Siemens Energy nähert sich der Schallmauer von 100 Euro, schafft den Durchbruch aber nicht. Am Dienstagmorgen notierte die Aktie des Energietechnikkonzerns erstmals bei über 99 Euro – ein symbolträchtiger Höchststand. Doch die anschließende Schwäche zeigt: Der Markt ist der Rally inzwischen einen Schritt voraus.
Analystenwarnung: Übermut statt Unterbewertung
Noch im Juni war Siemens Energy der Senkrechtstarter im DAX: +82 % im zweiten Quartal, +15 % im Juni allein. Ein seltener Höhenflug, befeuert durch milliardenschwere Neuaufträge, Optimismus bei der Transformation der Stromnetze und nicht zuletzt durch die Fantasie, dass die Energiewende ein globales Jahrhundertprojekt ist – und Siemens Energy einer der großen Gewinner davon.
Aber jetzt schaltet die Börse in den Rückwärtsgang. Die Analysten, bis vor wenigen Tagen noch euphorisch, treten zunehmend auf die Bremse. Akash Gupta von JPMorgan etwa hebt sein Kursziel zwar an, bleibt aber mit 78 € klar unter dem aktuellen Kurs. Die Message ist deutlich: "Die Story ist gut – aber der Preis erzählt sie schon."
Zwischen Realität und KI-Träumen
Siemens Energy profitiert derzeit stark vom KI-Hype – weniger direkt, sondern über die steigenden Strombedarfe, die durch energiehungrige Rechenzentren entstehen.
Doch hier beginnt der spekulative Teil. Zwar sind höhere Netzlasten real – aber der direkte monetäre Impact auf Siemens Energy ist bislang begrenzt. Der Markt preist jedoch schon massive Gewinne ein, die operativ erst noch geliefert werden müssen.
Goldman Sachs und die Deutsche Bank sehen noch Potenzial bis 100 €, HSBC geht sogar auf 108 €. Doch auch diese Zahlen spiegeln weniger fundamentale Gewinnsprünge, sondern eher Bewertungsexzesse eines Marktes wider, der gerade die Energieversorger als Tech-Profiteure neu entdeckt hat – ob berechtigt oder nicht, bleibt offen.
Book-to-Bill stimmt – aber reicht das?
Der Blick auf das operative Geschäft liefert ein gemischtes Bild. Analysten verweisen auf ein solides Verhältnis zwischen Neuaufträgen und realisierten Umsätzen – das sogenannte "book-to-bill"-Verhältnis.
Das spricht für ein gut gefülltes Auftragsbuch und eine gesunde Geschäftsentwicklung. Doch genau dieser operative Rückenwind wurde bereits in die Aktie eingepreist – mehrfach.
Dazu kommt: Siemens Energy ist nicht nur Energiewende, sondern auch Projektgeschäft. Und das ist anfällig – für Verzögerungen, Kostensteigerungen und politische Unwägbarkeiten. Wer hier investiert, muss mehr als nur Wachstum einpreisen – auch Unsicherheit.
Der Schlussstrich: Euphorie mit Auslaufdatum?
Der kurzfristige Höhenflug von Siemens Energy war eindrucksvoll – aber nicht nachhaltig. Die verpasste 100-Euro-Marke könnte sich als psychologische Barriere entpuppen, hinter der sich viele Gewinnmitnahmen verstecken.
Anleger tun gut daran, die Rally zu hinterfragen – nicht, weil das Unternehmen schlecht dasteht, sondern weil der Kurs der Realität einen Schritt zu weit vorausgeeilt ist.
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