Wer bei dm demnächst nach Lippenstift greift, könnte bald ungewollt ein globales Politikum im Einkaufskorb haben. Denn Deutschlands größter Drogeriemarkt verhandelt aktuell mit Shein – jenem chinesischen Onlinehändler, der weltweit unter Beobachtung steht.
Im Zentrum: Die Kosmetikmarke Sheglam, ein schnell wachsendes Tochterlabel von Shein, das mit Billigpreisen und Influencer-Hype vor allem junge Käuferinnen anspricht. Bei dm soll Sheglam ab Oktober 2025 in die Regale wandern. Die Gespräche laufen, das Echo dürfte laut werden.
Beauty zum Billigpreis – und zu welchem Preis?
Sheglam ist ein Paradoxon: Optisch High-End, preislich Tiefstniveau. Seit dem Markteintritt 2020 hat die Linie einen Umsatz im Milliardenbereich erzielt.
Der Hype im Netz ist groß, befeuert von TikTok, Instagram und cleveren Kooperationen. Doch hinter der Glitzerfassade wachsen Zweifel: Wie kann Kosmetik so günstig produziert werden? Unter welchen Bedingungen? Und wer profitiert wirklich?
Kritiker werfen Shein vor, seine Waren unter Ausnutzung von Zollschlupflöchern direkt aus China an europäische Kunden zu versenden – oft an Zoll und Verbraucherrechten vorbei.
Das Unternehmen bestreitet systematische Umgehungen, sieht sich aber mit zunehmenden Regulierungsbestrebungen konfrontiert. Verbraucherschützer und Wettbewerber, allen voran Rossmann-Chef Raoul Roßmann, fordern seit Monaten eine strengere Gangart gegen Anbieter wie Shein oder Temu.
dm auf Gratwanderung
Christoph Werner, Chef von dm, hat dafür eine pragmatische Philosophie: Wenn die Nachfrage da ist, will man sie bedienen. "Das Wasser findet seinen Weg zum Meer", heißt es bei ihm.

Einkaufsvorstand Sebastian Bayer spricht offen über das Potenzial von Sheglam bei der Zielgruppe unter 30. Wer den Zeitgeist bedienen wolle, dürfe die Augen nicht vor Trends verschließen.
Doch dm riskiert viel. Die Marke steht für Vertrauenswürdigkeit, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Der Name Shein hingegen steht international für ein toxisches Tempo, für aggressive Billigproduktion, und in Teilen sogar für Menschenrechtsverletzungen.
Stationär statt nur online? Sheins Masterplan
Ein Verkauf über dm könnte für Shein ein Testlauf sein. Zwar betont der Konzern, stationäre Präsenz sei nicht geplant. Tatsächlich aber tauchen Shein-Pop-up-Stores immer häufiger auf.
In Japan, den Emiraten – und bald auch in deutschen Innenstädten? Für den angepeilten Börsengang wäre ein prestigeträchtiger Retail-Partner wie dm ein strategischer Glücksgriff. Die Imagepolitur inklusive.
Wird dm zur Türöffnerin für Shein in Europa?
Die Frage lautet: Wie viel Verantwortung trägt ein Händler für die Herkunft seiner Produkte? Und was ist dm am Ende wichtiger: Werte oder Wachstum? Sollte der Deal zustande kommen, wird es nicht nur in der Beautybranche rumoren. Die Diskussion um faire Lieferketten, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsgleichheit könnte dann ein neues Kapitel aufschlagen.
Noch steht nichts fest. Aber Sheglam ist mehr als nur ein Lippenstift. Es könnte zum Lackmustest für die Haltung des deutschen Einzelhandels werden.
Das könnte Sie auch interessieren:
