Ein Präsident im Zug – und auf der Suche nach neuen Garantien
Wolodymyr Selenskyj hat keine Zeit zu verlieren. Während Russland gezielt die Energieinfrastruktur der Ukraine bombardiert, reist der Präsident quer durch Europa, um neue Verträge zu sichern: Gas für den Winter, Flugabwehr für den Sommer, politische Rückendeckung für die Monate dazwischen. Seine Videobotschaft, aufgenommen zwischen zwei Haltestellen, macht die Dringlichkeit deutlich: Die Ukraine braucht Verbündete, die nicht nur reden, sondern unterschreiben.
Der Auftakt findet in Griechenland statt. Dort soll ein Gasvertrag über rund zwei Milliarden Euro geschlossen werden – eine Summe, die die Dimension des Problems erahnen lässt. Ohne Importe droht der Ukraine ein Energieengpass, weil russische Raketen gezielt Kraftwerke und Speicher treffen. Die Finanzierung läuft symbolträchtig: Europa springt ein, weil die Ukraine aus eigener Kraft nicht mehr stabil genug produzieren kann.

Griechenland als Rettungsanker für den Winter
Der geplante Gasdeal ist mehr als ein kurzfristiger Einkauf. Er zeigt, wie stark sich die Abhängigkeiten verschoben haben. Vor dem Krieg exportierte die Ukraine Strom in EU-Staaten; heute benötigt sie selbst europäische Hilfe, um die Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Selenskyj spricht offen aus, was viele in Brüssel seit Wochen hinter verschlossenen Türen formulieren: Ohne weitere Energieimporte wird der kommende Winter härter als der vorherige.
Die zwei Milliarden Euro sind nicht nur ein finanzieller Kraftakt – sie sind ein politisches Signal. Griechenland könnte damit zum ersten Baustein eines europäischen Schutzschilds werden, das Energieversorgung und Sicherheitsinteressen enger verknüpft. Die EU steht vor der Frage, ob sie die Ukraine in dieser Tiefe dauerhaft stützen will – oder ob sie nur auf Sicht fährt.
Frankreich wird zur nächsten Etappe – und zum Luftwaffenpartner
In Paris soll ein „historischer Vertrag“ unterschrieben werden. Selenskyj verrät keine Details, doch der Kontext spricht Bände. Frankreich hat bereits Mirage-Kampfjets geliefert und sich offen gezeigt für weitere militärische Kooperationen. Der Begriff „historisch“ kommt selten ungefiltert aus dem Élysée – und noch seltener aus Kiew.
Der Deal dürfte daher zwei Elemente enthalten: erstens langfristige Unterstützung beim Aufbau der ukrainischen Luftwaffe, zweitens neue Systeme für die Flugabwehr. Für die Ukraine ist beides existenziell. Während Russland seine Angriffe auf kritische Infrastruktur verstärkt, muss Kiew gleichzeitig die Fähigkeit entwickeln, russische Angriffe in der Tiefe zu beantworten. Europa rüstet die Ukraine bislang vor allem defensiv aus – Frankreich könnte in dieser Woche eine neue Linie ziehen.

Spanien als politischer Testfall
Am Dienstag folgt Spanien. Selenskyj spricht vorsichtig von einem „resultativen“ Treffen – diplomatisch für: Es wird etwas herauskommen, aber nicht alles, was wir brauchen. Seine Prioritäten sind klar: Flugabwehrsysteme und die dazugehörigen Raketen. In keinem Bereich ist der Mangel so dramatisch wie dort. Die Ukraine verschießt Raketen oft schneller, als Europa neue produzieren kann.
Spanien steht im Vergleich zu Frankreich oder Deutschland nicht an der Spitze der Ukraine-Unterstützer, doch für Selenskyj zählt jeder weitere Partner. Spanien könnte vor allem eines liefern: zusätzliche Stückzahlen und politische Geschlossenheit. In Europa ist der Ukraine-Konsens brüchig – jede öffentliche Zusage stabilisiert ihn.
Europas Rolle wird größer – ob es will oder nicht
Selenskyjs Tour zeigt ein Europa, das immer stärker zum zentralen Versorger der Ukraine wird. Energie, Waffen, politische Rückendeckung – alles läuft inzwischen über europäische Hauptstädte. Die USA spielen weiterhin eine entscheidende Rolle, doch das Machtzentrum der Ukraine-Unterstützung verlagert sich.
Was Selenskyj in dieser Woche einsammelt, ist keine Wunschliste, sondern eine Überlebensliste. Gas, damit Fabriken laufen. Flugabwehr, damit Städte nicht im Dunkeln liegen. Jets, damit die Ukraine nicht dauerhaft in der Defensive bleibt.
Europa steht damit vor einer unbequemen Frage: Wie weit geht man, wenn es um eine langfristige Partnerschaft geht, deren Kosten steigen – und deren Ende niemand absehen kann?
Ein Präsident, der Europa in die Pflicht nimmt
Selenskyjs Botschaft ist simpel: Wer die Ukraine politisch unterstützt, muss es auch materiell tun. Und zwar schnell, bevor der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden wird. Seine Reise durch Europa ist deshalb weniger diplomatische Routine als strategischer Druck – freundlich verpackt, aber unmissverständlich.
Ob Griechenland, Frankreich oder Spanien: Die Verträge dieser Woche werden nicht nur über den kommenden Winter entscheiden, sondern darüber, wie ernst es Europa mit seiner eigenen sicherheitspolitischen Rolle meint.



