Der Dax ist zurück im Rekordmodus. Nach Monaten der Stagnation kletterte der deutsche Leitindex in dieser Woche auf 24.771 Punkte – ein neues Allzeithoch. Damit hat der Markt, der im Sommer noch festzustecken schien, plötzlich neuen Schwung. Seit Monatsbeginn hat der Dax mehr als drei Prozent zugelegt – der stärkste Oktoberstart seit zehn Jahren.
Doch was steckt hinter diesem plötzlichen Optimismus? Eine Momentaufnahme zeigt: Sechs Kräfte greifen gerade ineinander – und geben dem deutschen Aktienmarkt neuen Auftrieb.
1. Der Herbst, der den Markt beflügelt
Saisonalität ist keine Börsenromantik, sondern Statistik. Seit 1988 stiegen die deutschen Standardwerte im Schlussquartal im Durchschnitt um fast sieben Prozent, wie HSBC-Analyst Jörg Scherer berechnet hat. Und in Jahren, in denen der Dax Ende September bereits im Plus lag – wie 2025 –, legte er in 22 von 23 Fällen auch bis Dezember weiter zu.
Diese historische Gesetzmäßigkeit wirkt wie ein Magnet: Anleger wissen um den typischen „Jahresend-Effekt“ – und kaufen vorweg. Das verstärkt die Bewegung, ganz nach dem alten Börsensprichwort: „Die Hausse nährt die Hausse.“
2. Europas Comeback im globalen Portfolio
Die neue Dax-Stärke ist auch eine Folge internationaler Kapitalströme. Große Fonds reduzieren ihre US-Engagements – und entdecken Europa wieder.
„Wir erleben die Erosion der USA als sicheren Hafen“, sagt Kristina Hooper, Chefstrategin beim Fondsriesen Invesco. Grund sind politische Unsicherheit, überhitzte Bewertungen und hohe US-Anleiherenditen, die den Aktienmarkt in den Vereinigten Staaten belasten.
Der Dax dagegen profitiert von seiner Sektorbreite und Dividendenstärke. Im Vergleich zu den Tech-lastigen US-Indizes wirkt der deutsche Markt fast konservativ – und das wird derzeit honoriert.
3. SAP zieht den Index nach oben
Ohne SAP kein Dax-Rekord. Die Walldorfer Software-Aktie hat sich im Oktober kräftig erholt, nachdem sie im Sommer zwölf Prozent unter ihr Jahreshoch gefallen war. Mit einem Indexgewicht von rund 14 Prozent ist SAP der mit Abstand größte Einzeltreiber des Dax.
Analysten erwarten stabile Cloud-Umsätze und gute Quartalszahlen am 22. Oktober. Goldman-Sachs-Experte Mohammed Moawalla spricht von einem „robusten Softwaregeschäft trotz makroökonomischer Unsicherheit“. Die Erwartung auf ein starkes Quartal sorgt bereits jetzt für Kursfantasie.
4. Hoffnung auf Zinssenkungen in den USA
Paradoxerweise stützen gerade schwache US-Daten die Märkte. Die jüngsten Arbeitsmarktzahlen des privaten Dienstleisters ADP fielen deutlich enttäuschend aus.
Das nährt Spekulationen, dass die US-Notenbank (Fed) noch in diesem Jahr zweimal die Zinsen senken könnte.
Für Investoren bedeutet das: günstigeres Geld, bessere Finanzierungskonditionen – und neue Liquidität für Aktienmärkte weltweit. Die Aussicht auf billigere Kredite treibt besonders zyklische Sektoren und Technologiewerte an.
5. Der schwache Euro hilft der Exportwirtschaft
Der Euro hat seit Monatsbeginn rund ein Prozent gegenüber dem Dollar verloren – und das spielt der exportlastigen Dax-Industrie in die Karten.
Ein schwächerer Euro macht deutsche Produkte auf dem Weltmarkt günstiger und stärkt damit Konzerne wie Siemens, Volkswagen oder BASF.
Auslöser der Währungsschwäche ist die politische Krise in Frankreich. Während Paris innenpolitisch taumelt, profitieren deutsche Aktien indirekt von der Unsicherheit – eine bittere Ironie des Binnenmarkts.
6. Reformsignale aus Berlin
Auch die Politik liefert Impulse. Kanzler Friedrich Merz präsentierte jüngst ein Reformpaket mit Schwerpunkt auf Infrastruktur, Grundsicherung und Aktivrente. Investoren werten das als Zeichen, dass die Regierung wirtschaftspolitisch handlungsfähig bleibt.

„Ein klarer Wachstumsimpuls für 2026 ist möglich, wenn die angekündigten Projekte umgesetzt werden“, meint Pimco-Analyst Nicola Mai. Besonders der geplante Investitionsschub für Verkehr und Verteidigung könnte die deutsche Konjunktur im kommenden Jahr ankurbeln.
Eine Rally auf Bewährung
So beeindruckend der Oktoberstart ist – Euphorie herrscht nicht. Der Dax bewegt sich zwar auf Rekordniveau, doch viele Analysten sprechen von einem „Höchststand auf Probe“.
Denn das positive Szenario hängt an vielen Bedingungen: fallende Zinsen, stabile Unternehmensgewinne, politische Berechenbarkeit. Kommt es an nur einem dieser Punkte zu Enttäuschungen – etwa bei den US-Quartalszahlen oder der europäischen Konjunktur – droht eine scharfe Korrektur.
Anlagestratege Jochen Stanzl warnt: „Die Erwartungen an KI-Unternehmen und Tech-Werte sind extrem hoch. Enttäuschungen könnten wie ein Brandbeschleuniger wirken.“
Fazit
Der Dax erlebt tatsächlich einen goldenen Oktober – getragen von Psychologie, Statistik und globaler Neuorientierung des Kapitals. Doch der Aufschwung bleibt fragil. Noch ist offen, ob daraus eine echte Jahresendrally wird – oder nur ein Zwischenspurt auf dünnem Eis.
