Sofortkauf, späterer Schmerz
Das Muster ist immer gleich: Ein Wisch, ein Klick, die Rechnung „später“. Auf TikTok und Instagram sammeln sich unter #Klarnaschulden inzwischen Beichtstühle der digitalen Konsumgesellschaft: 1.530 Euro nur für Parfum, 4.657 Euro für Nahrungsergänzungsmittel und Torten, 11.470 Euro in Fast Fashion. „Hölle und Segen zugleich“, schreibt ein Nutzer – und meint damit nicht das Produkt, sondern die Zahlungsfunktion.
„Buy now, pay later“ (BNPL) – von Klarna popularisiert, von PayPal und anderen kopiert – verschiebt den Schmerzpunkt. Erst kommt der Warenkorb, dann die Rechnung, im Zweifel gestückelt in Raten. Das fühlt sich an wie mehr Freiheit. Es ist Kredit.
Die Mechanik: Bequem im Frontend, teuer im Backend
- Rechnungskauf mit Aufschub: Häufig 30 Tage Frist. Verlängerungen kosten Gebühren.
- Ratenkauf: Bis zu 36 Monate. Effektivzinsen: Klarna ca. 13,6 % p. a., PayPal ca. 12,49 % p. a.
- Kleine Summen, große Wirkung: 800 € über 24 Monate? Monatsrate ~38 €, Gesamtkosten ~911 € – rund 11 % Mehrpreis nur für Zeit. 2.000 € über 24 Monate: >277 € Zinslast.
Für Anbieter ist BNPL ertragreich – Händler zahlen Gebühren, Ratenkunden Zinsen. Für Konsumenten ist es bequem – bis die kumulierten Kleinstbeträge als Inkassobrief zurückkommen.
Psychologie am Checkout: Warum es so leicht fällt
Eine aktuelle Marketingforschung zeigt, was die Praxis bestätigt: Zahlungsaufschub senkt die wahrgenommene Schmerzschwelle. Mit BNPL steigt die Wahrscheinlichkeit eines Kaufs von 17 % auf 26 %, die Warenkorbgröße wächst um ~10 %.
Kleinteilige Raten verschleiern die Gesamtkosten. Das Gehirn bewertet die unmittelbare Freude höher als den verteilten Abfluss in der Zukunft – klassischer Present Bias.

Die Lage der Generation Z: Daten, die alarmieren
- Verschuldung: Rund 20 % der 14–29-Jährigen leben mit Schulden – ein Höchststand, nach 16 % im Vorjahr.
- Kleinkredite boomen: Der Anteil unter 1.000 € hat „drastisch“ zugelegt, berichten Auskunfteien.
- Zahlungsdisziplin: Jeder zweite jüngere Schuldner hat schon Fristen gerissen.
- Beratungspraxis: Unter-25-Jährige in der Schuldnerberatung: Ø 11.300 € Schulden; 25–35-Jährige: Ø 22.200 €.
- Ausfälle: Klarna nennt ~0,4 % Kreditausfälle; die Gesamtquote über alle Anbieter liegt laut Auskunfteien bei ~1,9 %.
- Limits & Salden: BNPL-Anbieter starten oft mit ~100 € Limit und heben es bei pünktlicher Zahlung an; Ø Saldo pro Kunde bei Klarna: ~250 €.

Die Mikrosummen wirken harmlos – bis mehrere Dienste parallel laufen und Gebühren, Zinsen und Mahnkosten den Rhythmus des Girokontos bestimmen.
Fall Anna D.: Wenn Konsum zum Dauerjob wird
Neue Shirts, neue Schuhe, neue Kosmetik – und irgendwann war der erste Zahltermin „nur“ verschoben. Dann der zweite. Schließlich 2.000 € Monatsrechnungen, 25.000 € Gesamtschulden.

Dispo, Kreditkarte, Altersvorsorge auflösen, Eltern um Hilfe bitten. Heute zahlt Anna D. 500 € monatlich zurück. Schuldenfrei voraussichtlich 2038. Das eigentliche Pfand ist nicht das Geld – es ist die Zeit.
Politik & Aufsicht: Die Regulierung zieht nach
- EU-Mikrokreditregeln: Künftig Bonitätsprüfung auch <200 €, im Zweifel Ablehnung.
- Verbraucherschutz: Warnung vor „schnell abgeschlossenen Kreditverträgen“ und intransparenter Kostenspirale.
- Anbieter-Position: „Überzogene Kritik“, heißt es. Ausfallquoten seien niedrig, Limits defensiv, Risiko bepreist.
Die Regeln adressieren einen Kernfehler: Kleinkredite sind Kredite – mit Schufa-Spuren, die Mietvertrag, Handyvertrag, Jobchecks und Immobilienfinanzierung beeinflussen.
Das Einfallstor: Social Media als Zahlungsbeschleuniger
BNPL ist kein Produkt, es ist ein Konversionshebel. Checkout-Funktionen sind tief in Apps und Shops verdrahtet; Creator-Ökosysteme pushen Impulskäufe, Affiliate-Modelle belohnen Klickraten. Das Ergebnis: höhere Frequenz, größere Körbe, schlechtere Budgetkontrolle.
„Klarna gewinnt immer“ – stimmt das?
Ökonomisch profitieren Händler (höhere Conversion), BNPL-Plattformen (Gebühren, Zinsen), Marktplätze (mehr Umsatz). Verluste entstehen dort, wo Zeitwert falsch bepreist wird: beim Konsumenten. Dennoch gilt: BNPL ist nicht per se toxisch. Pünktlich gezahlt, bleibt es ein Zahlungswerkzeug. Problematisch wird es, wenn Bequemlichkeit das Budget ersetzt.

Der stille Preis: Bonität, Lebensziele, Karriere
Jede verpasste Rate kann Scorewerte drücken. Inkasso-Einträge sind langlebig. Vermieter, Telcos, Banken, teils Arbeitgeber prüfen Schufa-Historien. Wer heute bei Kleinstkrediten die Disziplin verliert, könnte morgen an Wohnung, Finanzierung oder Jobchance scheitern.
Finanzbildung: Wo der Unterricht ausfällt, unterrichtet der Algorithmus
80 % der 14–24-Jährigen geben an, in der Schule wenig bis nichts über Finanzen gelernt zu haben. Elternhäuser schweigen zu oft. Ehrenamtliche Initiativen schließen Lücken – mit Budgettraining, ETF-Grundlagen, Kostenrealität. Ihre wichtigste Lektion klingt banal und ist es nicht: „Gib nie mehr aus, als du einnimmst.“ In BNPL-Zeiten ist das Widerstand.
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