13. Juni, 2025

Unternehmen

Scheinselbstständigkeit? Neue Ermittlungen belasten Engel & Völkers erneut

Nach Bielefeld nun Braunschweig: Deutschlands größter Luxusmakler steht erneut unter dem Verdacht, bei Sozialabgaben getrickst zu haben. Die Staatsanwaltschaft weitet ihre Ermittlungen aus – und rückt dem Geschäftsmodell näher.

Scheinselbstständigkeit? Neue Ermittlungen belasten Engel & Völkers erneut
16.000 Makler arbeiten unter der Marke Engel & Völkers – viele davon als angeblich Selbstständige. Kritiker sprechen von einem strukturellen Graubereich im Franchisesystem.

Ermittlungen rollen erneut an

Deutschlands Vorzeigemakler Engel & Völkers gerät weiter ins Visier der Ermittler. Nachdem bereits 2023 die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen des Verdachts auf Scheinselbstständigkeit aktiv wurde, haben nun auch die Behörden in Braunschweig die nächste Runde eingeläutet.

Im Fokus: Die Engel & Völkers Braunschweig Immobilien GmbH, eine Tochtergesellschaft des Hamburger Konzerns, an der dieser über Umwege die Mehrheit hält.

Durchsuchungen in mehreren Bundesländern

Die Ermittler scheinen entschlossen. Standorte in Braunschweig und Wolfenbüttel wurden durchsucht, ebenso eine Steuerberater- und Wirtschaftsprüferkanzlei in München.

Selbst der Hamburger Hauptsitz von Engel & Völkers blieb von einem Besuch der Ermittler nicht verschont. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen insgesamt drei Beschuldigte.

Der Vorwurf: Nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge für Beschäftigte, die womöglich fälschlich als Selbstständige geführt wurden.

Scheinselbstständigkeit als Systemrisiko

Im Kern der Auseinandersetzung steht die Frage, ob das Franchisesystem des Unternehmens rechtlich sauber aufgesetzt ist. Engel & Völkers arbeitet mit rund 1000 Standorten und etwa 16.000 Menschen unter der Marke.

Viele davon sind formell selbstständig, arbeiten aber exklusiv nach Vorgaben der Zentrale.

Wieder im Visier der Ermittler: Nach Bielefeld durchsuchen Staatsanwälte nun auch Standorte in Braunschweig und Wolfenbüttel. Im Zentrum steht der Verdacht auf nicht gezahlte Sozialabgaben.

Für die Abgrenzung zwischen echter Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit spielen Details eine entscheidende Rolle: Können Makler Aufträge ablehnen? Nutzen sie eigene IT-Systeme? Tragen sie unternehmerisches Risiko? Oder handeln sie am Ende doch eher wie klassische Angestellte?

Franchise als Grauzone

Juristisch bewegen sich Franchise-Modelle seit Jahren in einer Grauzone. Das Konzept: Lokale Unternehmer zahlen für die Marke, das System und die Infrastruktur.

Im Gegenzug liefern sie Umsatz an die Zentrale ab. Doch je stärker die Zentrale die Arbeitsabläufe, Preise oder IT steuert, desto kritischer wird die Abgrenzung zur abhängigen Beschäftigung. Arbeitsrechtlerin Annette Rölz bringt es auf den Punkt:

„Wer Arbeitsanweisungen Folge leisten muss, Aufträge nicht ablehnen kann und die Systeme des Franchisegebers nutzt, ist in aller Regel kein Selbstständiger.“

Zentrale bislang entlastet – vorerst

Nach den Ermittlungen in Ostwestfalen war die Konzernspitze zuletzt noch glimpflich davongekommen. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hatte das Verfahren gegen die Führungsetage von Engel & Völkers eingestellt. Ein System von Scheinselbstständigkeit durch die Konzernzentrale habe sich nicht bestätigt.

Das aktuelle Verfahren betrifft nun erneut vorrangig den einzelnen Lizenznehmer in Braunschweig. Doch die Tatsache, dass es sich diesmal um eine Tochtergesellschaft handelt, an der Engel & Völkers über seine deutsche Holding direkt beteiligt ist, verleiht dem Vorgang neue Brisanz.

Unterstützung, aber wenig Worte

Die Konzernzentrale gibt sich in ihrer Stellungnahme kooperationsbereit. Man unterstütze die Ermittlungen vollumfänglich, so Engel-&-Völkers-Chef Jawed Barna.

Gleichzeitig betont das Unternehmen, dass sich die Ermittlungen ausschließlich auf die Braunschweiger Tochterfirma beziehen. Zu den laufenden Verfahren gegen einzelne Lizenznehmer wolle man sich nicht äußern.

Ein strukturelles Risiko für die Branche

Der Fall Engel & Völkers wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf eine heikle Praxis im deutschen Immobiliensektor. Viele Maklerunternehmen setzen auf formal selbstständige Vertriebspartner, die de facto jedoch eng in interne Strukturen eingebunden sind.

Das spart Sozialabgaben, verlagert Risiken und erhöht die Flexibilität. Doch die rechtlichen Grenzen sind unscharf – und die Finanzbehörden zunehmend sensibilisiert.

Signalwirkung für die gesamte Franchise-Industrie

Die aktuellen Ermittlungen könnten daher weit über Engel & Völkers hinausreichen. Franchise-Modelle sind nicht nur in der Immobilienbranche verbreitet, sondern auch in Gastronomie, Fitness, Bildung oder Pflege.

Dort gelten ähnliche Strukturen und Abgrenzungsprobleme. Ein belastbares Urteil gegen Engel & Völkers – sollte es jemals dazu kommen – könnte Signalwirkung für die gesamte deutsche Franchise-Wirtschaft entfalten.

Schaden für die Marke?

Für Engel & Völkers kommt der erneute Ermittlungsdruck zu einem heiklen Zeitpunkt. Der Immobilienmarkt selbst steht unter Druck: steigende Finanzierungskosten, sinkende Kaufpreise und wachsende regulatorische Anforderungen setzen die Branche unter Stress.

Obendrein riskiert das Unternehmen durch die Affäre Imageschäden, die gerade im Luxussegment schnell spürbar werden können.

Der politische Aspekt: Rentenkassen unterfinanziert

Hinter der juristischen Diskussion steckt auch eine politische Komponente. Die Renten- und Sozialsysteme ächzen unter dem demografischen Wandel. Sozialabgaben entgehen dem Staat jährlich in Milliardenhöhe, wenn abhängig Beschäftigte als Selbstständige deklariert werden.

Das Interesse der Behörden, diese Konstrukte genauer unter die Lupe zu nehmen, wächst entsprechend.

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