11. Juni, 2025

Politik

Rumänien sagt Nein zum Extremismus – und zum alten System

In einer dramatischen Stichwahl stoppen die Rumänen einen ultranationalistischen Kurswechsel – und schicken zugleich das politische Establishment in den Ruhestand. Präsident wird ein Mathematiker, der das System nie mochte.

Rumänien sagt Nein zum Extremismus – und zum alten System
Der neue Präsident Nicușor Dan setzte sich gegen den rechtsextremen George Simion durch – beide traten ohne Rückhalt der etablierten Parteien an. Das Vertrauen in das politische System ist in Rumänien so gering, dass klassische Parteien nicht einmal die Stichwahl erreichten.

Ein Wahlsonntag zwischen Risiko und Rettung

Rumänien hat gewählt. Und sich – zumindest vorerst – gegen den Abgrund entschieden. In einer nervenaufreibenden Stichwahl setzte sich der parteilose, proeuropäische Kandidat Nicușor Dan mit knapp 54 Prozent gegen George Simion durch, einen lautstarken Nationalisten mit Sympathien für Moskau.

Es ist ein Sieg, der in Brüssel für Erleichterung sorgen dürfte. Und ein Ergebnis, das zeigt: Die Mehrheit der Rumänen wollte verhindern, dass ihr Land denselben Weg geht wie Ungarn oder die Slowakei.

Doch die Wahl war weit mehr als ein einfacher Machtwechsel. Es war auch ein Misstrauensvotum gegen das politische System selbst.

Beide Kandidaten: Gegen das System

Was auffällt: Keiner der beiden Finalisten gehörte einer traditionellen Regierungspartei an. Weder die Sozialdemokraten noch die Nationalliberalen schafften es in die Stichwahl.

Der neue Präsident Dan und sein unterlegener Gegner Simion eint mehr als man auf den ersten Blick vermuten würde: Beide inszenieren sich als Gegner des Establishments.

Beide haben das Vertrauen der klassischen Eliten nie gesucht – oder gebraucht. Dass am Ende Dan gewann, lag weniger an Begeisterung für ihn als an der Angst vor Simion.

Das rumänische Außenministerium warnte vor gezielter russischer Desinformation im Vorfeld der Stichwahl – wie schon bei der Wahl 2024, die später annulliert wurde.

Der Mathematiker mit dem Anti-Korruptions-Ticket

Nicușor Dan ist kein typischer Präsident. Der 55-Jährige, ein Mathematiker mit Vergangenheit in der Zivilgesellschaft, war lange bekannt als hartnäckiger Aktivist gegen Korruption.

Er spricht leise, meidet große Gesten. In einem Land, in dem Politik oft laut und theatralisch daherkommt, ist das fast schon eine Revolution für sich.

Dan trat ohne Parteiunterstützung an, sprach gezielt jene an, die sich vom System übergangen fühlen – die „Stillen, Ehrlichen und Fleißigen“, wie er sie nennt. Und das sind in Rumänien nicht wenige.

Die Wahlbeteiligung war deutlich höher als im ersten Durchgang. Viele sind offenbar nur zur Wahl gegangen, um Simion zu verhindern.

Simion, der Trump von Bukarest

George Simion spielte derweil das bekannte populistische Spiel. Schon vor der Auszählung erklärte er sich zum Wahlsieger, sprach von einem „Erdrutschsieg“, der ihm gestohlen werde – ganz im Stil von Donald Trump.

Dabei war sein Wahlprogramm ein gefährlicher Mix aus Nationalismus, EU-Skepsis und außenpolitischer Provokation.

Simion stellte die Ukraine-Hilfen infrage, bezeichnete Russland zwar offiziell als Bedrohung, äußerte sich aber wiederholt verständnisvoll gegenüber dem Kreml. Die Ukraine und Moldau erklärten ihn zur „unerwünschten Person“. Eine Wahl Simions wäre ein geopolitisches Risiko geworden – für Rumänien und für Europa.

Trotz des Wahlsiegs eines proeuropäischen Kandidaten bleibt die politische Vertrauenskrise bestehen: Keine etablierte Partei erreichte die Stichwahl.

Russischer Schatten über der Wahl

Schon die Präsidentschaftswahl im Dezember 2024 hatte Rumänien in eine handfeste Krise gestürzt. Kurz vor der Stichwahl erklärte das Verfassungsgericht die Wahl für ungültig – wegen Hinweisen auf russische Einflussnahme und undurchsichtige Wahlkampffinanzierungen. Beweise legte die Regierung nur lückenhaft vor. Viele Bürger hielten die Entscheidung für politisch motiviert.

Auch diesmal war von Desinformationskampagnen und russischer Einmischung die Rede. Das Außenministerium sprach von „klaren Anzeichen“. In Moskau wurde darüber gespottet – man sehe ohnehin keine „echte Wahl“.

Verlorenes Vertrauen

Dass Rumänien heute überhaupt in dieser Lage ist, hat mit mehr als nur ausländischer Einflussnahme zu tun. Die eigentliche Krise ist hausgemacht. Korruption, Stillstand, Reformunwilligkeit – das politische System hat sich in weiten Teilen selbst diskreditiert. Viele Rumänen glauben nicht mehr daran, dass sich über klassische Parteien noch etwas zum Besseren wenden lässt.

Deshalb schafften es auch keine Vertreter der etablierten Parteien in die Stichwahl. Deshalb wählten viele Dan – nicht aus Begeisterung, sondern aus Hoffnung auf Veränderung. Und weil die Alternative ein Präsident Simion gewesen wäre.

Jetzt muss geliefert werden

Dan steht nun vor einer heiklen Aufgabe. Die Regierung ist nach dem Rücktritt von Premier Marcel Ciolacu zerbrochen. Als Präsident kann Dan maßgeblich bestimmen, wer das Amt neu übernimmt. Seine Entscheidung wird zeigen, wie ernst es ihm mit dem politischen Neuanfang ist.

Gleichzeitig wächst der Druck. Denn Simion mag verloren haben – verschwunden ist er nicht. Seine Anhänger werden genau hinschauen, ob sich nun wirklich etwas ändert. Dan muss liefern: bei der Korruptionsbekämpfung, bei Justizreformen, bei der Modernisierung des Staates.

Fünf Jahre, um Vertrauen zurückzugewinnen

Rumänien hat sich gegen einen ultranationalistischen Kurs entschieden. Aber auch gegen ein „Weiter so“. Es war eine Wahl zwischen Risiko und Reform. Das Risiko wurde abgewendet. Ob die Reform gelingt, ist offen.

Nicușor Dan hat nun fünf Jahre Zeit, zu zeigen, dass Politik auch anders geht. Dass Ehrlichkeit und Sachlichkeit nicht automatisch Stillstand bedeuten. Und dass Vertrauen zurückgewonnen werden kann – wenn man es verdient.

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