Es ist ein Satz, der in seiner Kürze mehr Alarm auslöst als manch ganzer Koalitionsvertrag:
„Eine umfassende Reform des deutschen Rentensystems ist unausweichlich.“
So steht es in einem aktuellen Gutachten führender Wirtschaftsforscher, darunter der Direktor des Ifo-Instituts Dresden, Marcel Thum, sowie der Wirtschaftsweise Martin Werding. Im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung analysieren sie darin das wohl größte finanzielle Zeitproblem Deutschlands – die Rentenversicherung.
Das Problem ist bekannt, aber ungelöst
Deutschland altert. Schon heute finanzieren rund 1,7 Beitragszahler eine Rente. Bis 2035 dürfte dieses Verhältnis auf 1:1 sinken. Gleichzeitig steigen Lebenserwartung und Rentenbezugsdauer, während die Zahl der Erwerbstätigen schrumpft. Trotzdem scheut die Politik seit Jahren vor tiefgreifenden Einschnitten zurück.
Das neue Gutachten bringt nun konkrete Vorschläge auf den Tisch: Abschaffung der Rente mit 63, Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung, stärkere Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in der Rentenformel und eine inflationsbezogene Anpassung von Bestandsrenten.

Ohne Reformen droht der Beitragssatz zu explodieren
Studienautor Thum beziffert die Kosten der Reformverweigerung klar: Ohne strukturelle Gegenmaßnahmen werde der Beitragssatz von heute 18,6 Prozent bis 2050 auf 22 Prozent steigen.
Die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung würden dann über elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen – ein kaum tragbares Niveau für Arbeitnehmer und Unternehmen.
Bleiben die Reformen jedoch nicht aus, könnte das Ausgabenniveau langfristig bei rund zehn Prozent des Sozialprodukts stabilisiert werden.
Die Ampel in der Rentenfalle
Für die Bundesregierung ist das Gutachten ein ungemütlicher Weckruf. Zwar garantiert der Koalitionsvertrag ein Rentenniveau von 48 Prozent, und das Renteneintrittsalter soll bei 63 Jahren bleiben.
Doch genau diese politischen Versprechen verfestigen laut Experten eine Schieflage: Wer heute mit 63 in Rente geht, bezieht im Schnitt fast 20 Jahre lang Zahlungen aus der Rentenkasse – bei stagnierender Beitragsbasis.
SPD-Chef Lars Klingbeil hatte schon vor seiner Ernennung zum Finanzminister Reformen angeregt und eine Ausweitung des Beitragszahlerkreises ins Spiel gebracht. Doch der politische Spielraum für unbequeme Entscheidungen ist gering, zumal eine alternde Wählerschaft Reformen oft skeptisch begegnet.
Eine politische Frage mit sozialer Sprengkraft
Die Rente wird damit zur Gerechtigkeitsfrage: Wie lange muss ein Mensch arbeiten? Wer soll wie viel in die Kasse einzahlen – und wie viel erhalten? Und wie kann das System in einer alternden Gesellschaft stabil bleiben, ohne die junge Generation zu überfordern?
Die Autoren des Gutachtens liefern keine einfachen Antworten, aber sie fordern Ehrlichkeit: "Je länger notwendige Reformen aufgeschoben werden, desto höher werden die Lasten für künftige Generationen."
Das Fenster für echte Reformen schließt sich
Der demografische Wandel ist kein Zukunftsthema mehr, sondern Realität. Die gesetzliche Rente braucht mehr als kosmetische Eingriffe – sie braucht eine Generalüberholung. Die Frage ist nicht, ob reformiert wird, sondern wann. Und wer es politisch wagt.
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