Es ist ein Schritt mit Symbolkraft: Der niedersächsische Prothesenhersteller Ottobock, einer der bekanntesten Namen in der Medizintechnik, macht ernst mit seinen Börsenplänen. Ab dem 30. September können Investoren erstmals Aktien zeichnen – nur neun Tage später sollen die Papiere bereits im regulären Handel der Frankfurter Wertpapierbörse notieren.
Der Ausgabepreis wird in einer Spanne zwischen 62 und 66 Euro erwartet, das Angebotsvolumen liegt bei bis zu 808 Millionen Euro. Mit einer Marktkapitalisierung von 4,0 bis 4,2 Milliarden Euro würde Ottobock in eine Liga aufsteigen, die für ein deutsches Familienunternehmen bemerkenswert ist.
Kapital für Wachstum – und Übernahmen
Das Unternehmen, das 1919 von Otto Bock gegründet wurde und bis heute von der Eigentümerfamilie Näder geprägt ist, will mit dem IPO nicht nur seine Bilanz stärken.
Rund 100 Millionen Euro aus einer Kapitalerhöhung fließen direkt in die Kassen von Ottobock. Die Mittel sollen genutzt werden, um die Verschuldung zu reduzieren – und, wie es heißt, „gezielte Zukäufe“ zu prüfen.
Damit positioniert sich der Prothesenhersteller als Konsolidierer in einem global hart umkämpften Markt. Die Branche ist geprägt von Innovation, aber auch von Skaleneffekten: Wer wachsen will, braucht Kapital – für Forschung, Fertigung und Vertrieb.

Starke Zahlen, klare Ambitionen
Dass Ottobock den Sprung aufs Parkett wagt, ist auch ein Ergebnis einer soliden Geschäftsentwicklung. Im ersten Halbjahr 2025 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 801 Millionen Euro – fünf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Besonders beeindruckend: Das operative Ergebnis (EBITDA) legte um 30 Prozent auf 180 Millionen Euro zu, die Marge stieg auf 22,5 Prozent.
Auch beim Free Cashflow zeigt sich das Unternehmen in neuer Stärke: Mit 93 Millionen Euro hat er sich binnen eines Jahres verdreifacht. Zahlen, die Investoren in einem Umfeld schwacher Konjunkturdaten aufhorchen lassen.
Ein Familienunternehmen im Rampenlicht
Mit dem IPO rückt die bisher eher im Hintergrund agierende Eigentümerfamilie ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Über die Näder Holding werden rund 9,1 Millionen bestehende Aktien an die Börse gebracht – der Streubesitz soll damit bei 19 Prozent liegen.
Das bedeutet: Die Familie bleibt klarer Mehrheitsaktionär und behält die Kontrolle, öffnet sich aber zugleich dem Kapitalmarkt. Für Anleger ist das ein Signal: Stabilität und Tradition auf der einen, Wachstumsfantasie auf der anderen Seite.
Medizintechnik als Wachstumsfeld
Die Timing-Frage stellt sich dennoch. Die Kapitalmärkte sind von Unsicherheit geprägt, geopolitische Krisen und Zinsniveaus drücken auf die Bewertungen. Doch die Medizintechnik gilt als weitgehend krisenresistent. Alternde Gesellschaften in Europa, den USA und zunehmend auch Asien sorgen für stetige Nachfrage nach Prothesen und orthopädischen Hilfsmitteln.

Ottobock ist in diesem Feld nicht nur Anbieter, sondern Innovationsführer: Mit Hightech-Prothesen wie dem „C-Leg“, einer computergesteuerten Knieprothese, hat sich das Unternehmen weltweit einen Namen gemacht. Solche Produkte verbinden Präzisionstechnik mit Softwaresteuerung – und bieten damit attraktive Margen.
Was Anleger wissen müssen
Für Investoren wird es entscheidend sein, ob Ottobock das Wachstumstempo halten kann. Die solide Bilanz und die hohen Margen sprechen dafür, dass das Unternehmen für die nächste Wachstumsphase gerüstet ist. Doch gleichzeitig bleibt die Frage: Kann Ottobock seine starke Nische verteidigen, wenn Wettbewerber wie Össur oder große Medizintechnikkonzerne verstärkt auf den Markt drängen?
Ein Risiko liegt zudem im vergleichsweise geringen Streubesitz. Mit nur 19 Prozent frei handelbaren Aktien ist die Liquidität begrenzt – was zu stärkeren Kursschwankungen führen könnte.
IPO mit Signalwirkung
Mit dem Börsengang von Ottobock steht Frankfurt vor einem seltenen Ereignis: Ein deutscher Weltmarktführer aus der realen Industrie wagt den Schritt aufs Parkett – und das in einem Feld, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich von großer Bedeutung ist.
Für Investoren bietet sich die Chance, an einem global wachsenden Markt teilzuhaben, der von demografischen Megatrends getragen wird. Doch wer einsteigt, muss wissen: Ottobock ist kein Wachstumswunder aus dem Silicon Valley, sondern ein hochprofitables, traditionsbewusstes Familienunternehmen – das mit seinem Börsengang beweisen will, dass beides kein Widerspruch sein muss.
