Die Lage bei Petrobras wirkt paradox. Operativ kämpft der Konzern mit einem eskalierenden Arbeitskonflikt, strategisch meldet er einen der größten Rohstofffunde seiner jüngeren Geschichte. Während die langfristige Perspektive größer kaum sein könnte, bleibt der Aktienkurs deutlich unter Druck.
Gericht stoppt das schlimmste Streikrisiko
Kurzfristig bestimmt der Arbeitskampf die Schlagzeilen. Gewerkschaften hatten Raffinerien, Terminals und Offshore-Anlagen in den Ausstand geführt. Die Forderungen reichen von Sicherheitsstandards bis zu Zusatzleistungen für Beschäftigte in Hochrisikobereichen. Für den Konzern entstand daraus ein reales Produktionsrisiko.
Das Oberste Arbeitsgericht Brasiliens griff nun ein. In einem bindenden Beschluss ordnete es einen Notbetrieb an: 80 Prozent der Belegschaft müssen auch während des Streiks arbeiten. Damit sichert der Staat die Treibstoffversorgung und verhindert einen abrupten Einbruch der Fördermengen.

Für Petrobras ist das eine Atempause, keine Lösung. Der Konflikt bleibt ungelöst, das Klima angespannt. Streiks in sensiblen Bereichen der Öl- und Gasförderung wirken stets wie ein Risikoaufschlag auf den Kurs. Genau diesen Abschlag preist der Markt derzeit ein.
Eine neue Ölprovinz rückt in Reichweite
Parallel dazu liefert Petrobras jedoch Argumente, die weit über den aktuellen Zyklus hinausreichen. Im Fokus steht die sogenannte Equatorial Margin, eine bislang kaum erschlossene Region vor der Nordküste Brasiliens. Der Konzern bestätigte Pläne, dort in den kommenden Jahren mehr als 700 Bohrungen vorzunehmen.
Geologische Schätzungen beziffern das Potenzial dieses Gebiets auf bis zu 6,2 Milliarden Barrel Öl. Damit würde sich Brasilien eine neue Förderprovinz erschließen, vergleichbar mit großen Entdeckungen vor der Küste Afrikas oder im Guyana-Becken.
Für Petrobras ist das strategisch entscheidend. Die Abhängigkeit von den reifen Pre-Salt-Feldern sinkt, die Reservebasis lässt sich langfristig stabilisieren. Zugleich zeigt der Konzern, dass er technologisch in der Lage ist, auch jenseits der bekannten Tiefseegebiete erfolgreich zu explorieren.
Langfristige Stärke trifft kurzfristige Skepsis
An der Börse kommt diese Perspektive bislang kaum an. Die Aktie notiert rund 20 Prozent unter dem Jahreshoch. Investoren fokussieren sich auf politische Risiken, Arbeitskämpfe und den staatlichen Einfluss auf die Unternehmensstrategie.
Gerade internationale Anleger bleiben vorsichtig. Petrobras gilt als Cashflow-stark, aber politisch nie ganz frei. Investitionsentscheidungen, Dividendenpolitik und Personalfragen stehen regelmäßig im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Rationalität und staatlichen Interessen.
Der Markt stellt deshalb weniger die Frage nach dem geologischen Potenzial als nach der Verlässlichkeit seiner Ausschöpfung.
Zwei Zeithorizonte, eine Bewertung
Kurzfristig hängt viel an der Lösung des Arbeitskonflikts. Erst eine Einigung mit den Gewerkschaften dürfte den operativen Risikoabschlag reduzieren. Solange Unsicherheit über Produktionsabläufe besteht, bleibt die Aktie anfällig.
Langfristig jedoch verschiebt sich die Perspektive. Ein bestätigtes Potenzial von über sechs Milliarden Barrel ist kein theoretischer Bonus, sondern eine fundamentale Neubewertung der Reservenbasis. Sollte Petrobras dieses Volumen schrittweise erschließen, wäre das ein Wachstumspfad über Jahrzehnte.
Genau dieser Widerspruch prägt den Kurs: operative Störgeräusche gegen strategische Größenordnung. Wer auf Petrobras blickt, entscheidet sich nicht zwischen gut oder schlecht, sondern zwischen kurz und lang.


