Die große Bühne hatte er sich selbst bereitet. „Wir werden die Welt schockieren“, verkündete Alex Chriss bei seinem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren.
Statt Disruption und Innovation bekam PayPal zuletzt allerdings Schlagzeilen, die an das Gegenteil erinnern: ein Sicherheitsdesaster, blockierte Zahlungen in Milliardenhöhe, verunsicherte Nutzer und eine Finanzaufsicht, die Antworten verlangt. Für einen Konzern, dessen Kernversprechen Vertrauen heißt, ein Albtraum zur Unzeit.
Ein Fehler im Code – Millionen Konten betroffen
Mitte August meldeten erste Banken verdächtige Transaktionen, teilweise in grotesker Höhe. Sparkassen und andere Institute zogen die Notbremse, stoppten Aufträge, als wären es Attacken auf das Finanzsystem.
Erst Tage später räumte PayPal ein: Ursache war kein Hack, sondern ein banaler Programmierfehler. Ein Stück Code sei bei einem Update verloren gegangen, Sicherheitsfilter waren für mehrere Stunden außer Kraft.
Die Folgen: Mehr als eine Million deutsche Konten wurden vorsorglich gesperrt, teilweise über eine Woche lang. Händler warteten vergeblich auf Zahlungen, Kunden konnten ihre Konten nicht nutzen. PayPal bemühte sich zwar um Schadensbegrenzung und versprach, alle rechtmäßigen Transaktionen zu erstatten – doch das Image hat bereits tiefe Kratzer.
„PayPal 2.0“ unter Druck
Dabei könnte der Zeitpunkt kaum ungünstiger sein. Chriss, ein Manager mit Intuit-Vergangenheit, will PayPal vom reinen Zahlungsdienstleister zur globalen Handelsplattform umbauen.

Dafür werden Milliarden investiert, Personal abgebaut, die Strategie neu justiert. Deutschland dient als Testfeld: Mit Wallet-Funktion und aggressiver Kampagne soll der Sprung an die Ladenkassen gelingen.
Doch statt Aufbruchsstimmung dominiert Krisenmanagement. Der Fehler wirft Fragen nach internen Prozessen auf: Wie konnte ein Systemupdate elementare Sicherheitsmechanismen so unbemerkt ausschalten? Und warum reagierte die Kommunikation so spät und so vage?
„Vertrauen ist die Währung von Payment“, sagt Berater Martin Geißler. „Wer dieses Vertrauen verliert, spielt mit seiner Existenz.“
Starker Wettbewerb, schwache Börse
Schon ohne Pannen kämpft PayPal gegen wachsenden Druck. Apple Pay und Google Pay dominieren die mobilen Kassen, Klarna lockt junge Kunden mit Kreditangeboten, in Europa formiert sich mit Wero ein Bankenbündnis gegen die US-Giganten. PayPals Börsenwert ist seit 2021 um fast 80 Prozent eingebrochen und notiert heute auf dem Niveau von 2017.
Die jüngsten Quartalszahlen – fünf Prozent Umsatzwachstum, zwölf Prozent Gewinnplus – konnten die Skepsis der Investoren nicht zerstreuen. Allein seit Jahresbeginn verlor die Aktie weitere 21 Prozent. Der Markt zweifelt daran, ob „PayPal 2.0“ tatsächlich mehr ist als eine verzweifelte Marketinghülle.
Ein Neustart mit Risiko
Für Alex Chriss ist die Episode mehr als ein Betriebsunfall. Sie ist ein Stresstest für seine Glaubwürdigkeit. Der Manager hat Stellen gestrichen, die Kultur auf Geschwindigkeit getrimmt und eine Vision verkauft, die PayPal wieder zur „Innovationsmaschine“ machen soll. Doch wer Innovation verspricht, darf sich keine elementaren Sicherheitslücken leisten.

Der Schaden könnte langfristig größer sein als jede kurzfristige Kontosperre. Banken, Händler und Aufseher haben gesehen, wie anfällig selbst ein Payment-Gigant sein kann. Und Kunden, die in Sekunden zu Apple oder Google wechseln können, fragen sich, ob sie PayPal noch vertrauen wollen.
Ein Turnaround bleibt möglich – aber nur, wenn Chriss beweist, dass PayPal nicht nur neu starten, sondern auch Stabilität liefern kann. Vertrauen zurückzugewinnen dauert Jahre. Es in wenigen Stunden zu verspielen, reicht schon ein abgebrochener Code.
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