Diagnose aus dem Automaten
In einer Berliner dm-Filiale steht neben dem Regal mit Schlafmasken ein graues Terminal. Eine junge Frau fotografiert ihr Gesicht, Sekunden später erscheint das Urteil: „fettige Haut“. Dazu drei Produktempfehlungen für rund 25 Euro.
Für dm ist das kein PR-Gag, sondern Teil eines Pilotprojekts. Gemeinsam mit Start-ups bietet die Drogeriekette Hautanalysen, Augen-Screenings und Bluttests an – teilweise kostenlos, teilweise für Beträge zwischen zehn und siebzig Euro.
Ein Markt, der wächst
Die Logik dahinter: In Deutschland fließen jedes Jahr rund 2,4 Milliarden Euro in sogenannte IGeL-Leistungen – medizinische Zusatzangebote, die Patienten selbst bezahlen.
Von Vitamin-Checks bis zu Vorsorgeuntersuchungen, die Kassen nicht übernehmen. Genau hier will dm andocken. Das Unternehmen kooperiert mit Dermanostic, Skleo Health und Aware, die Technik und Auswertung liefern, während dm die Kundschaft gleich im Laden hat.
Ärzte wittern Gefahr
„Das ist keine Dermatologie, das ist Verkaufsförderung“, kritisiert Ralph von Kiedrowski, Präsident des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen. Er sieht das Risiko von Fehldiagnosen, etwa wenn auffällige Muttermale nur per Foto eingeschätzt werden.

Auch andere Fachgesellschaften warnen: Augenärzte bemängeln fehlende Standards, Apotheker und Verbraucherschützer sehen Datenschutzrisiken. Der Dermatologenverband hat bereits Beschwerde bei der Bundesärztekammer eingereicht.
Zwischen Chance und Kommerz
dm-Chef Christoph Werner weist die Vorwürfe zurück. Empfehlungen gebe es nur bei einfachen Hauttests, betont er, nicht bei ernsten medizinischen Befunden. Für ihn steckt hinter der Kritik ein festgefahrenes System:
„Statt Chancen zu sehen, werden Gefahren beschworen“, sagt Werner.
Er sieht im Projekt einen Beweis, dass Patienten niedrigschwellige Angebote annehmen wollen – und kündigt an, die Zusammenarbeit mit weiteren Partnern auszubauen.

Krankenkassen machen mit
Tatsächlich findet dm Unterstützer. Die Krankenkasse BIG direkt gesund bietet ihren Versicherten bereits Telemedizin-Dienste von Dermanostic an. „Wer in Deutschland auf einen Hautarzttermin wartet, braucht im Schnitt fünf Wochen“, sagt Versorgungsmanager Stefan Oschinski. „Mit dem digitalen Angebot haben unsere Versicherten binnen 24 Stunden eine Diagnose.“ Für die Kassen ist das ein Weg, Versorgungslücken zu schließen – für Ärzte ein Angriff auf ihren Berufsstand.
Der Kunde bleibt skeptisch
Ob sich das Konzept durchsetzt, ist offen. Die junge Frau in Berlin jedenfalls verlässt die Filiale irritiert. Ihre Diagnose „fettige Haut“ passt nicht zu ihrer von Ärzten bestätigten Akne. Den Produktempfehlungen der Maschine will sie lieber nicht folgen.
Zwischen Shampoo und Sprechstunde
Damit bleibt die Grundfrage: Wird dm mit seiner Gesundheits-Offensive zum Vorreiter einer neuen Versorgungsebene – oder verwischt die Drogeriekette Grenzen, die besser klar blieben? Für das deutsche Gesundheitssystem ist der Test mehr als ein Experiment. Es ist ein Angriff auf die alte Trennung von Medizin und Handel.
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