Verlust statt Wirkung: Der Adipositas-Hype bekommt erste Kratzer
Eli Lilly wollte den nächsten großen Schritt gehen – und ist dabei gestrauchelt. Die US-Amerikaner präsentierten am Mittwoch neue Studiendaten zur Abnehmpille Orforglipron, dem Hoffnungsträger im milliardenschweren Adipositasmarkt.
Doch statt Euphorie erntete der Pharmakonzern Ernüchterung. Die Aktie brach zweistellig ein, der Konkurrent Novo Nordisk hingegen legte im Gegenzug um über acht Prozent zu. Der Markt reagiert nicht auf das, was medizinisch „ausreichend“ ist – sondern auf das, was wirtschaftlich überdurchschnittlich sein müsste.
Dabei sind die Daten auf den ersten Blick solide. In der höchsten Dosierung erreichte Orforglipron einen durchschnittlichen Gewichtsverlust von 12,4 Prozent nach 72 Wochen – ein Wert, der in jeder medizinischen Fachzeitschrift beachtlich wäre. Nur eben nicht an der Börse.
Dort hatten Anleger auf mindestens 15 Prozent spekuliert – eine inoffizielle Zielmarke, die auf sogenannten Flüsterschätzungen beruht. Verfehlt man die, kippt die Stimmung.
Der Markt für Abnehmpräparate – zwischen Boom und Überhitzung
Der globale Adipositasmarkt ist ein Milliardenmarkt, von Analysten zuletzt regelrecht überhöht. Allein das Marktpotenzial für orale GLP-1-Präparate wird auf über 100 Milliarden US-Dollar in den kommenden zehn Jahren geschätzt.
Pharmafirmen wetteifern um die beste Kombination aus Wirksamkeit, Verträglichkeit und einfacher Einnahme. Für Anleger ist klar: Wer das Rennen um die erste hochwirksame Abnehmpille gewinnt, gewinnt den Jackpot.
Eli Lilly galt als Favorit. Das Unternehmen hat mit Zepbound (Tirzepatid) bereits ein starkes injizierbares Präparat im Markt. Orforglipron sollte die bequeme Alternative werden – einmal täglich, oral, keine Spritze, dafür vergleichbare Wirkung. Das Grundversprechen bleibt bestehen, doch die Zahlen enttäuschen in der Spitze. Zu wenig für ein Unternehmen, das im Kampf gegen Novo Nordisk als Wegbereiter gelten wollte.
Novo Nordisk kontert – und trifft
Novo Nordisk nutzte die Schwäche des Rivalen eiskalt aus. Am gleichen Tag stellte das dänische Unternehmen erste Details zu seinem eigenen Hoffnungsträger Amycretin vor – eine neue oral einzunehmende Substanz, die ebenfalls auf ein Phase-3-Programm zusteuert.
Zwar liegen noch keine vergleichbaren Wirksamkeitsdaten vor, doch allein die zeitliche Nähe der Ankündigungen reichte aus, um die Fantasie der Märkte zu entfachen.

Denn eines ist sicher: Wer im GLP-1-Wettrennen nicht nur mitzieht, sondern führt, hat langfristig erheblichen Einfluss auf globale Behandlungsstandards – und auf milliardenschwere Gesundheitsbudgets. Die Botschaft: Novo Nordisk ist wieder da. Und die Anleger goutierten das prompt.
Eli Lilly bleibt stark – aber der Nimbus ist angekratzt
Der Einbruch der Eli-Lilly-Aktie ist kein Absturz ins Bodenlose, aber ein Einschnitt. Die Erwartungen an das Unternehmen waren hoch, vielleicht zu hoch.
Die neuen Daten zeigen: Auch in einem Boomsegment wie der Adipositas-Therapie gibt es Rückschläge. Und die Bewertung von Pharmaaktien bleibt ein empfindliches Gleichgewicht aus medizinischer Relevanz, wirtschaftlicher Fantasie und strategischer Kommunikation.
Denn während Eli Lilly betont, dass Orforglipron alle primären und sekundären Endpunkte erreicht hat – und damit eine starke klinische Basis liefert –, geht der Markt einen anderen Weg: Was zählt, ist nicht nur das Erreichen von Zielen, sondern das Übertreffen der Flüsterprognosen. Und das hat in diesem Fall nicht funktioniert.
Zwischen Pille und Pipeline – was jetzt zählt
Der Adipositasmarkt bleibt attraktiv – für Patienten, für Krankenkassen, für Aktionäre. Doch die Spielregeln haben sich verändert. Die Zeit der reinen Hype-Zyklen scheint vorbei.
Was jetzt zählt, sind klinisch validierte Fortschritte mit klarer Differenzierung. Orforglipron mag seine Zulassung erhalten – aber nicht als Gamechanger. Zumindest nicht mehr in den Augen der Investoren.
Novo Nordisk hat den Moment genutzt – und einen psychologischen Vorteil zurückgewonnen. Der Wettlauf geht weiter. Aber die Karten werden gerade neu gemischt.
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