Bitcoin als Firmenstrategie
Was 2020 als Experiment eines US-Unternehmers begann, wird nun in Deutschland Realität. Das börsennotierte Fintech Aifinyo kündigt an, künftig einen Teil seiner Gewinne direkt in Bitcoin zu investieren. Damit folgt das Dresdner Unternehmen der milliardenschweren Strategie von Michael Saylor, Gründer des US-Konzerns Strategy (früher MicroStrategy), der heute mehr als 640.000 Bitcoin im Wert von rund 71 Milliarden Dollar hält.
Aifinyo ist damit das erste börsennotierte Unternehmen in Deutschland, das sich offiziell in ein sogenanntes „Bitcoin-Treasury-Unternehmen“ verwandelt – also einen Teil seiner Bilanz in der Kryptowährung parkt.
„In Deutschland gibt es bislang keine vergleichbare Struktur“, sagt Garry Krugljakow, Vorstandsmitglied von Aifinyo und verantwortlich für die Krypto-Strategie. „Wir wollen diese Lücke schließen.“ Rund drei Millionen Euro hat das Fintech bereits in Bitcoin investiert. Möglich machte das ein Investment des US-Fonds UTXO Management, der sich auf solche Firmen spezialisiert hat.
Vom Rechnungsmanager zum Krypto-Vorreiter
Aifinyo war bislang eher ein Nischenanbieter für digitales Rechnungsmanagement und Factoring – solide, unspektakulär, reguliert durch die BaFin. Dass das Unternehmen nun Teile seiner Gewinne in Bitcoin steckt, ist ein Schritt mit Signalwirkung.
„Wir glauben langfristig an Bitcoin als Wertspeicher“, so Krugljakow. Sein Ziel: Bis 2027 will Aifinyo mehr als 10.000 Bitcoin halten. Die operative Tätigkeit bleibe bestehen, doch die Bilanzstruktur werde umgebaut – weg von reinem Cash, hin zu digitalen Reserven.
Die Saylor-Idee
Der Vorreiter dieser Bewegung ist und bleibt Michael Saylor. Als seine Firma 2020 begann, Kredite aufzunehmen, um Bitcoin zu kaufen, hielten ihn viele für größenwahnsinnig. Heute gilt er als Krypto-Guru – zumindest in der Bitcoin-Szene. Seine Strategie hat den Aktienkurs von Strategy in fünf Jahren um über 1.500 Prozent steigen lassen.
Saylor glaubt, dass künftig tausende Unternehmen nachziehen werden. In den USA existieren laut dem Portal Bitcointreasuries.net bereits über 100 solcher Firmen. In Japan hat sich etwa Metaplanet, einst eine Hotelkette, zu einem der größten Bitcoin-Halter Asiens entwickelt. In Frankreich setzt Sequance Communications auf ein ähnliches Modell. Deutschland zieht nun nach.
Spekulation oder Innovation?
Doch der Ansatz ist riskant. Bitcoin bleibt ein hochvolatiler Vermögenswert, dessen Kurs in wenigen Stunden um zweistellige Prozentsätze schwanken kann. Mitte Oktober verlor der Kurs innerhalb weniger Minuten mehrere Tausend Dollar, nachdem neue Spannungen zwischen den USA und China die Märkte erschütterten.
Für Anleger bedeutet das: Wer in Firmen wie Aifinyo investiert, kauft indirekt Bitcoin – oft mit einem zusätzlichen Finanzhebel, weil die Coins teils über Kredite finanziert werden.
„Das kann bei Kursrückgängen schmerzhaft werden“, warnt Markus van de Weyer, Portfoliomanager beim Kryptoverwalter Alpha Beta Asset Management. „Wer Bitcoin mit Schulden kauft, erhöht sein Verlustrisiko exponentiell.“
Schwache Bilanzen, starke Risiken
Viele der neuen Bitcoin-Treasuries haben eine geringe Marktkapitalisierung und ein niedriges Handelsvolumen. Schon kleinere Orders können ihre Kurse stark bewegen. Laut einer Analyse des Researchhauses K33 ist heute jedes vierte dieser Unternehmen weniger wert als die Kryptowährungen, die es hält.
Auch regulatorisch bleibt die Lage unsicher. Die US-Börsenaufsicht SEC prüft derzeit mehrere Fälle auf möglichen Insiderhandel, nachdem Führungskräfte solcher Firmen zeitgleich zu Kursbewegungen eigene Aktien verkauft hatten.
Für Aifinyo, das unter deutscher Aufsicht steht, könnte dieser Schritt also nicht nur Renditechancen, sondern auch neue regulatorische Fragen bringen.
Saylors Schatten
Ein weiteres Risiko: die Abhängigkeit von Michael Saylor selbst. Seine Rolle als Leitfigur des „Bitcoin-Standard“-Gedankens sorgt für enorme Aufmerksamkeit – aber auch für gefährliche Herdendynamik.
„Wenn Saylors Modell irgendwann unterperformt, droht das Vertrauen in die gesamte Bewegung zu bröckeln“, warnt van de Weyer. Tatsächlich hat Saylors Firma Strategy im laufenden Jahr deutlich schlechter abgeschnitten als Bitcoin selbst: Während die Kryptowährung rund 19 Prozent zulegte, gewann die Aktie nur etwa zwei Prozent.
Langer Atem nötig
Aifinyo setzt trotzdem auf Langfristigkeit. Krugljakow selbst war einer der frühen Mitarbeiter der Neobank N26 und gilt in der Szene als erfahrener Fintech-Gründer. Er rechnet kurzfristig mit Rückschlägen, langfristig aber mit einem massiven Wertzuwachs.
„Natürlich kann der Bitcoin-Preis jederzeit einbrechen“, sagt er. „Aber wir denken in Jahrzehnten, nicht in Quartalen.“
Damit stellt sich Aifinyo bewusst gegen die kurzfristige Logik des Kapitalmarkts – und wagt das, was deutsche Unternehmen selten tun: eine offene Wette auf die Zukunft des Geldes.
Ein riskanter Präzedenzfall
Mit dem Schritt von Aifinyo betritt Deutschland Neuland. Sollte die Strategie aufgehen, könnte sie Schule machen – vor allem bei kleineren börsennotierten Firmen mit begrenztem Wachstumsspielraum. Misslingt sie, wird sie zum abschreckenden Beispiel.
Denn Bitcoin ist kein stabiler Vermögenswert, sondern ein politisches, technisches und psychologisches Phänomen. Und Aifinyo ist kein globaler Konzern mit Milliardenreserven, sondern ein Mittelständler aus Dresden.
Die Wette lautet also: Vertrauen gegen Volatilität. Oder, in Saylors Worten – „Fiat stirbt, Bitcoin bleibt.“
Wie lange Anleger in Deutschland diesem Versprechen folgen, wird sich zeigen – vermutlich in derselben Geschwindigkeit, mit der Bitcoin fällt oder steigt.

