Das teure Erbe des Sozialstaats
Aus Hartz IV wurde Bürgergeld, jetzt heißt es „Grundsicherung“. Doch egal, wie oft die Bundesregierung ihr System neu verpackt – billiger wird es nicht. Die Sozialausgaben haben sich seit den frühen 1990er-Jahren mehr als verdoppelt, während die öffentlichen Investitionen immer weiter zurückgingen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert die Pro-Kopf-Sozialausgaben mittlerweile auf 2.665 Euro, verglichen mit 1.464 Euro im Jahr 1992. Besonders stark wuchsen die Arbeitsmarkthilfen, also Bürgergeld und ähnliche Leistungen: von 187 Euro auf 625 Euro pro Einwohner. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht – im Gegenteil: Mit steigender Zuwanderung, höheren Gesundheitskosten und einer alternden Gesellschaft wird der Sozialstaat zum Fass ohne Boden.
Wenn Sozialpolitik Investitionen verdrängt
Während die Ausgaben für Transfersysteme explodieren, schrumpft der Spielraum für Zukunftsinvestitionen. Der Anteil der staatlichen Investitionen am Haushalt fiel laut IW von 15 Prozent (1992) auf zuletzt 12,2 Prozent. 2011 lag er sogar bei nur neun Prozent – der Tiefpunkt seit der Wiedervereinigung.
Dass der Wert heute etwas höher liegt, liegt nicht an wachsender Investitionsfreude, sondern an Corona-Hilfen und kreditfinanzierten Sondervermögen. Mit echter Strukturpolitik hat das wenig zu tun.
Und obwohl der Staat in den letzten Jahren mehr Geld in Bildung, Forschung und Verkehr gesteckt hat, verschiebt sich die Haushaltsbalance zunehmend zugunsten konsumtiver Ausgaben. Jeder Euro, der in Sozialleistungen fließt, fehlt bei Innovation, Digitalisierung oder Infrastruktur – das Fundament zukünftigen Wachstums.

Zinslast frisst Handlungsspielräume
Ein weiteres Problem: Die Zinswende. Jahrelang konnte sich der Bund quasi gratis verschulden. 2021 floss weniger als ein Prozent des Haushalts in den Schuldendienst. Heute sind es nahezu acht Prozent – Tendenz steigend.
Die Kombination aus steigenden Zinsen und wachsender Neuverschuldung lässt die Schuldenquote wieder klettern. Mit den geplanten Sondervermögen für Verteidigung, Klima und Transformation droht eine dauerhafte strukturelle Verschuldung, die selbst bei stabilem Wirtschaftswachstum kaum noch einzufangen ist.
Sozialausgaben dominieren den Bundeshaushalt
1992 machten Sozialausgaben rund 35 Prozent des Bundeshaushalts aus. Heute sind es 48 Prozent – fast jeder zweite Euro. Besonders teuer: Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung. Sie verschlingen mittlerweile über 23 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes und entsprechen 2,5 Prozent des BIP.
In Sachsen etwa ist die Zahl der steuerpflichtigen Rentner binnen fünf Jahren von 1.100 auf über 142.000 gestiegen – eine stille Umverteilung, die sich in vielen Regionen Deutschlands beobachten lässt. Gleichzeitig wächst die Zahl der Aufstocker und Sozialleistungsbezieher, die zwar arbeiten, aber von ihren Einkommen nicht leben können.
„Wenn die Politik Haushaltslöcher schließen will, sollte sie am Sozialbudget ansetzen“, warnt IW-Haushaltsexperte Tobias Hentze. Allein für die Jahre 2027 bis 2029 klafft laut Bundesregierung eine Finanzierungslücke von 172 Milliarden Euro.
Kritik vom Bundesrechnungshof: „Der Bund lebt über seine Verhältnisse“
Deutliche Worte kommen auch vom Bundesrechnungshof. In seinem Gutachten zum Etat 2026 heißt es: „Wer plant, fast jeden dritten Euro auf Pump zu finanzieren, ist von solider Finanzwirtschaft weit entfernt.“ Die Ausgaben wachsen schneller als die Einnahmen, viele Programme seien strukturell nicht gedeckt.
Die geplanten 520 Milliarden Euro Bundesausgaben für 2026 sollen zu einem Drittel über neue Kredite in Höhe von 174 Milliarden Euro finanziert werden. Der Bundesrechnungshof spricht von einem „verfestigten Ungleichgewicht“ zwischen Leistungsfähigkeit und Anspruch.
„Ein System, in dem jeder etwas bekommt“
Der Vermögensforscher Andreas Beck sieht darin kein Haushaltsproblem, sondern ein Mentalitätsproblem. „Wir haben ein System geschaffen, in dem jeder irgendeine Förderung bekommt“, sagt der Gründer des Münchner Instituts für Vermögensaufbau. „Selbst Eigentümer einer Villa im Wert von fünf Millionen Euro erhalten Zuschüsse für ihre Wärmepumpe.“
Statt gezielter Hilfe für Bedürftige wachse ein Bürokratieapparat, der Milliarden kostet und kaum Anreize für Eigenverantwortung schafft. „Das ist keine soziale Gerechtigkeit“, so Beck, „das ist sozialpolitischer Selbstbetrug.“
Reformmüdigkeit als Risiko
Trotz zahlreicher Warnungen bleibt die Reformbereitschaft gering. Die Erfahrung zeigt: Einmal eingeführte Leistungen verschwinden nie wieder. Selbst Schröders Agenda 2010 – die als schärfste Reform der Nachkriegsgeschichte galt – führte zunächst zu steigenden Sozialausgaben, weil mehr Menschen Anspruch auf Unterstützung erhielten.

Ökonomen verweisen auf die sogenannte „Prospect Theory“: Menschen empfinden Verluste stärker als Gewinne. Kürzungen treffen daher auf massiven Widerstand, während neue Leistungen leicht durchgesetzt werden. So entsteht ein strukturelles Ungleichgewicht, das sich politisch kaum noch korrigieren lässt.
Die Neuverschuldung als bequemer Ausweg
Statt echte Einsparungen durchzusetzen, greift die Bundesregierung immer wieder zum gleichen Mittel: Schuldenaufnahme. Unter dem Label „Sondervermögen“ werden Investitionen, Aufrüstung oder Energiewende auf Kredit finanziert – oft jenseits der Schuldenbremse.
Das IW warnt vor dieser Praxis: „Sondervermögen sind kein Ersatz für solide Haushaltsführung“, so Hentze. Die Versuchung, über Nebenhaushalte zu finanzieren, sei groß – die langfristigen Kosten aber enorm.
Fazit: Der Sozialstaat droht sich selbst zu verschlingen
Deutschland steht an einem Wendepunkt. Der Wohlstand der Vergangenheit finanziert einen Sozialstaat, den die Gegenwart kaum noch tragen kann. Gleichzeitig lähmt die Angst vor unpopulären Reformen die Politik.
Solange die Bundesregierung keine klare Priorisierung wagt, droht das Land, in einer Schulden-Sozialspirale gefangen zu bleiben – mit wachsender Belastung für kommende Generationen.
Oder, wie es ein IW-Ökonom trocken formuliert:
„Deutschland hat kein Einnahmenproblem. Es hat ein Ausgabenproblem.“
