05. Juni, 2025

Global

Trumps Kurs erschüttert Amerika – und Europa rückt ins Zentrum

Eine junge Harvard-Absolventin verliert ihr Visum, ein deutscher Banker spürt plötzlich Interesse aus New York, und in Brüssel wird die alte Idee vom "geopolitischen Europa" wieder ernst genommen. Wie Donald Trump Europa zum Nachdenken zwingt – und welche Chancen sich daraus ergeben.

Trumps Kurs erschüttert Amerika – und Europa rückt ins Zentrum
Die Weltordnung auf dem Prüfstand: Trumps zweite Amtszeit würde nicht nur EU, NATO und Klimapolitik betreffen – auch die Rolle Deutschlands als Vermittler könnte ins Wanken geraten.

Ein Visum gestrichen, ein Leben auf Pause

Cambridge, Massachusetts. Sarah, 24, sitzt im Harvard Yard, auf dem Schoß ihr Masterzeugnis, im Kopf Chaos. Die Absolventin aus Kolumbien sollte in wenigen Wochen bei der Weltbank in Washington anfangen.

Jetzt droht ihr die Ausweisung.

„Sie sagen, mein Visum sei ungültig. Ich verstehe es nicht. Ich habe alles richtig gemacht.“

Was Sarah passiert, ist kein Einzelfall. Die Regierung unter Donald Trump hat die Regeln für ausländische Studierende verschärft, Visa-Anträge gestoppt und den Universitäten mit Mittelkürzungen gedroht. Betroffen sind tausende junge Talente – und Amerikas Reputation als Wissenschaftsmagnet.

Kapitalströme in Bewegung

Frankfurt am Main. Christian Sewing, Vorstandschef der Deutschen Bank, tritt auf der Tech-Messe in Heilbronn vor ein internationales Publikum. „Wir sehen ein wachsendes Interesse internationaler Investoren an Europa“, sagt er.

Der Dollar wankt, die amerikanische Verschuldung explodiert, das Vertrauen in die US-Institutionen bröckelt. „Wenn wir jetzt klug handeln, kann Europa profitieren.“

Anleihemärkte, Aktien, Start-ups – die Kapitalflüsse beginnen sich zu verschieben. Laut Daten der Deutschen Bank sinkt das Engagement vieler Fonds in den USA, gleichzeitig steigen die Zuflüsse nach Europa. In Berlin und Brüssel registriert man das mit Vorsicht. Noch fehlt eine gemeinsame Strategie, um das Momentum zu nutzen.

„America First“ als außenpolitisches Dogma: Schon in seiner ersten Amtszeit kappte Trump internationale Verbindungen – ein zweites Mal könnte das europäische Sicherheitsgefüge dauerhaft Schaden nehmen.

Tech-Talente auf der Flucht

San Francisco. Die Villa im Stadtteil Pacific Heights ist gut besucht. Junge Entwickler, Forscherinnen, Gründer aus aller Welt treffen sich bei Craft-Bier und vegangen Burgern.

Die Gespräche drehen sich um Visastress, Sicherheitschecks und Trump. „Es fühlt sich nicht mehr sicher an“, sagt ein KI-Forscher aus Indien. „Ich habe Angebote aus Zürich und Amsterdam. Früher hätte ich sie ignoriert. Heute nicht mehr.“

Was sich in Harvard andeutet, bestätigt sich im Silicon Valley: Der amerikanische Traum wirkt brüchig. Visa werden verweigert, Einreisebedingungen verschärft, Forschungseinrichtungen politisch unter Druck gesetzt. Während Europa auf Exzellenzinitiativen und internationale Programme setzt, beginnen manche Tech-Talente umzudenken.

Neuer Mut in der Handelspolitik

São Paulo. Auf einem Wirtschaftsforum tritt EU-Ratspräsident António Costa ans Mikrofon. „Europa wird zum Anker der Verlässlichkeit in einer Welt der Ungewissheiten.“

Der Applaus ist verhalten, aber interessiert. Brasilien, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate – viele Staaten suchen neue Partner. Die USA gelten als erratisch. Die EU dagegen wirbt mit Stabilität, Vertragstreue und wirtschaftlicher Berechenbarkeit.

Die Folge: Handelsabkommen wie Mercosur rücken in greifbare Nähe. Neue Gespräche mit Thailand, Malaysia, selbst den Golfstaaten laufen. Trumps Zollpolitik wirkt wie ein Katalysator – für eine strategischere EU.

Die Rückkehr der Wissenschaft nach Europa?

Berlin. Der Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, Joybrato Mukherjee, sieht eine Chance – und eine Verantwortung. „Wir spüren ein wachsendes Interesse an deutschen Hochschulen.

Aber um Talente zu halten, brauchen wir mehr als Studienplätze: Es geht um Perspektiven, Betreuung, verlässliche Strukturen.“

Zahlen bestätigen den Trend: 2024 waren über 400.000 internationale Studierende in Deutschland eingeschrieben. Auch aus den USA gibt es zunehmend Anfragen – nicht zuletzt von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich von den politischen Entwicklungen unter Trump entfremdet fühlen.

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