27. Juni, 2025

Politik

Ich arbeite in Schwedt und ich frage mich, ob wir geopfert werden

Die Bundesregierung will Rosneft weiter von der PCK-Raffinerie fernhalten. Doch je länger die Treuhand dauert, desto näher rückt ein milliardenschweres Klagerisiko – oder die Enteignung.

Ich arbeite in Schwedt und ich frage mich, ob wir geopfert werden
Schwedt, Brandenburg: Die PCK-Raffinerie sichert rund 90 Prozent der Kraftstoffversorgung in Berlin und Ostdeutschland. Doch ihr russischer Mehrheitseigentümer Rosneft steht weiter unter staatlicher Treuhand – mit ungewisser Zukunft.

Der Schichtbeginn ist früh in Schwedt. Ralf M. (Name geändert), 52, läuft um 6:15 Uhr über das Werkstor der PCK-Raffinerie. „Seit 30 Jahren arbeite ich hier. Und ich habe viele Krisen erlebt. Aber so eine Ungewissheit wie jetzt – das hatten wir noch nie.“

Der Industriemechaniker spricht leise. Er ist keiner, der über Politik schimpft. Aber er will verstehen, was da gerade passiert – und warum niemand in Berlin Klartext spricht.

„Wir machen den Laden am Laufen, aber keiner sagt uns, wie lange noch.“

Seit fast drei Jahren steht der russische Mehrheitseigentümer Rosneft unter staatlicher Treuhand. Der Bund hatte 2022 die Kontrolle übernommen, nachdem Putins Krieg in der Ukraine begonnen hatte.

Rosneft hält über seine Töchter 54 Prozent an der Raffinerie. Im September läuft die Treuhand aus. Und dann? Eine einfache Verlängerung wäre politisch bequem – aber rechtlich womöglich fatal.

Zwischen Krise und Kalter Enteignung

Denn: Schon das Bundesverwaltungsgericht warnte vergangenes Jahr davor, den Ausnahmezustand zur neuen Normalität zu machen.

Je länger der Staat die Kontrolle behält, desto größer die Gefahr, dass Gerichte die Maßnahme als enteignungsgleich werten. Ein solcher Vorwurf hätte Konsequenzen. Und einen Preis: Rosneft-Anwälte sprechen bereits von bis zu acht Milliarden Euro.

Treuhand oder Enteignung? Die staatliche Kontrolle über Rosneft Deutschland läuft im September aus. Verlängert die Bundesregierung erneut, droht laut Juristen ein Milliardenrisiko wegen möglicher „enteignungsgleicher Wirkung“.

Im Kanzleramt ist man alarmiert. Und auch in Brandenburg weiß man, dass es jetzt heikel wird. In einem internen Protokoll der „Task Force PCK“, das der F.A.Z. vorliegt, warnt Geschäftsführer Ralf Schairer vor einer „rechtlichen Vakanz“.

Eine Phase, in der weder die Treuhand verlängert noch eine Enteignung beschlossen ist. In dieser Lücke, so Schairer, drohe dem Betrieb ein „unkalkulierbares Risiko“. Partner könnten Verträge platzen lassen. Öl-Lieferungen stünden auf dem Spiel.

Eine Raffinerie im geopolitischen Fadenkreuz

Tatsächlich ist PCK kein gewöhnlicher Industrieort. Die Raffinerie sichert große Teile der Kraftstoffversorgung im Osten Deutschlands. Gleichzeitig ist sie ein geopolitischer Zankapfel.

Zwar kommt das Rohöl heute aus Kasachstan – aber es fließt durch die russische Druschba-Pipeline. Im Ernstfall könnte Moskau den Hahn zudrehen. Rosneft kontrolliert nicht nur die Beteiligungen, sondern hat auch politische Hebel in der Hand.

Ralf M. sagt:

„Wenn Putin wirklich will, dass wir stillstehen – dann stehen wir.“

Die Belegschaft habe das längst verstanden. Viele machten sich Gedanken über neue Jobs. Manche gingen bereits. Dabei sei das Werk modern, die Nachfrage stabil, der Standort eigentlich sicher. „Aber wir hängen politisch in der Luft.“

Ein gefährliches Schweigen aus Berlin

Im Bundeswirtschaftsministerium hält man sich bedeckt. Man prüfe „verschiedene Optionen“, heißt es auf Anfrage. Was das bedeutet, bleibt offen. Eine Sprecherin verweist auf laufende Verkaufsverhandlungen zwischen Rosneft und internationalen Interessenten – aus Katar, Kasachstan, zuletzt sogar aus den USA. Doch konkrete Fortschritte gibt es kaum.


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Zugleich bereitet sich das Ministerium offenbar auf alle Szenarien vor. Auch eine Enteignung, wie sie zuletzt im Februar intern diskutiert wurde, steht im Raum. Die Rechtsgrundlage dafür lieferte eine Änderung des Energiesicherungsgesetzes.

Der Staatsrechtler Till Patrik Holterhus sieht dafür rechtlich Spielraum – aber auch eine politische Eskalation. „Eine Enteignung wäre juristisch Neuland. Und sie hätte geopolitische Folgen.“

Rosneft, so Holterhus, könnte ein Investitionsschutzverfahren anstrengen. Und Gegensanktionen verhängen – gegen deutsche Vermögenswerte in Russland. Gleichzeitig betont der Jurist: Wer die Versorgungssicherheit aktiv untergräbt, kann nicht automatisch auf volle Entschädigung hoffen. Doch ein Risiko bliebe. Und ein Präzedenzfall auch.

Der Druck steigt – aber auch der Preis

Im Bundestag drängt der Grünen-Politiker Michael Kellner auf Klarheit. Er war Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, kennt die Aktenlage.

Tatsächlich gibt es Alternativen zur Druschba-Pipeline. Polen hatte in der Vergangenheit angeboten, über den Hafen in Danzig mehr Rohöl für PCK bereitzustellen. Doch logistisch wäre das aufwändiger, teurer – und kurzfristig kaum zu realisieren. Auch politisch ist der Spielraum begrenzt. Der Staat kann nicht unbegrenzt Zeit kaufen, ohne irgendwann zahlen zu müssen.

Was bleibt: eine Entscheidung. Und ein Risiko.

Weder die Verlängerung der Treuhand noch die Enteignung ist ohne Fallstricke. Der eine Weg droht vor Gericht zu scheitern. Der andere könnte eine politische Kettenreaktion auslösen. Und der dritte – ein freihändiger Verkauf – ist bislang nicht mehr als ein Plan auf dem Papier.

Ralf M. jedenfalls wartet nicht mehr auf Berlin. „Ich mache meinen Job. Aber ich glaube nicht, dass wir noch lange so weitermachen können.“ Er sagt das ohne Wut, eher mit Müdigkeit. Es ist die Art von Resignation, die entsteht, wenn niemand erklärt, worum es eigentlich geht.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um Öl.

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