Ein Projekt mit strategischer Sprengkraft
Das Vorhaben klingt nach einem Jahrhundertprojekt der digitalen Infrastruktur: Von Marseille über Griechenland und Zypern bis nach Saudi-Arabien soll eine Glasfaserleitung verlegt werden, die in einer zweiten Bauphase bis nach Indien reicht.
Die Investition für den ersten Abschnitt: rund 850 Millionen Dollar, Bauzeit 40 Monate. Die Finanzierung steht, die Pläne liegen bereit – doch die Arbeiten stocken, bevor sie richtig begonnen haben.
Denn die Türkei beansprucht Teile der geplanten Trasse als ihre ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) und droht, den Bau notfalls mit Kriegsschiffen zu verhindern. Erst vergangene Woche stoppte eine türkische Fregatte das deutsche Forschungsschiff Fugro Gauss bei der Vermessung südlich von Zypern.
Recht gegen Machtanspruch
Juristisch ist die Sache aus Sicht der EU klar: Nach der UN-Seerechtskonvention gehören die strittigen Seegebiete Griechenland und Zypern. Ankara erkennt dieses Abkommen jedoch nicht an – und beruft sich stattdessen auf ein 2019 mit Libyen geschlossenes Abkommen, das einen eigenen, 200 Kilometer breiten Korridor im östlichen Mittelmeer definiert.
Dieser Korridor schneidet nicht nur durch die griechische AWZ, sondern ignoriert die Existenz ganzer Inseln wie Kreta, Kasos, Karpathos und Rhodos. Griechenland und die EU betrachten das Abkommen als völkerrechtswidrig. Doch solange die Türkei auf See militärisch Präsenz zeigt, bleibt es ein Machtfaktor.
Mehr als nur ein Kabel
Die Projektgesellschaft East to Med Data Corridor (EMC) ist mehrheitlich im Besitz von Saudi Telecom, mit Beteiligungen des griechischen Versorgers PPC und der zypriotisch-griechischen TTSA.

Das Kabel soll Teil der IMEC-Initiative werden, die 2023 auf dem G20-Gipfel beschlossen wurde. Ziel: Handels- und Datenwege zwischen Indien, dem Nahen Osten und Europa zu modernisieren – eine geopolitische Antwort auf Chinas „Neue Seidenstraße“.
Für Ankara geht es jedoch nicht um schnellere Datenübertragung, sondern um Einfluss im östlichen Mittelmeer. Wer hier Seewege, Energie- und Dateninfrastruktur kontrolliert, sichert sich strategische Machtpositionen – sowohl militärisch als auch wirtschaftlich.
Wirtschaftliche und geopolitische Kollision
Die Blockade des Datenkabels ist kein Einzelfall. Die Türkei verhinderte bereits mehrfach Arbeiten am Great Sea Connector, einem geplanten Stromkabel von Griechenland über Zypern nach Israel.
Auch hier kamen Kriegsschiffe zum Einsatz, um Vermessungsarbeiten zu unterbinden. Ironischerweise wird das Projekt von der EU mit fast 658 Millionen Euro gefördert – Ankara sieht darin dennoch eine Bedrohung seiner eigenen Energiestrategie.
Besonders heikel: In Teilen der umstrittenen Zone verhandelt Griechenland mit dem US-Energiekonzern Chevron über Gasexplorationen. Für Ankara ist das eine weitere Provokation, die den Konflikt zusätzlich auflädt.
Ein Konflikt mit Eskalationspotenzial
Der Streit um das Datenkabel ist damit mehr als nur eine technische Auseinandersetzung. Er ist Teil eines geopolitischen Schachspiels, in dem Seekarten zu Waffen werden und Infrastrukturprojekte zum Druckmittel.
Ob das Kabel gebaut wird, hängt nicht allein von Verträgen und Finanzierung ab – sondern davon, ob Europa, Saudi-Arabien und die USA bereit sind, Ankara in diesem Streit die Stirn zu bieten. Für die Türkei ist es ein Testfall: Gelingt es, hier ihren Willen durchzusetzen, könnte das Signal weit über das Mittelmeer hinaus wirken.
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