Ein Land im Griff der Gangs
Stockholm, Göteborg, Malmö – drei Städte, die längst Synonym geworden sind für eine Krise, die Schweden so nicht kannte. Fast jede Woche detoniert irgendwo eine Bombe, Jugendliche liefern sich Schießereien auf offener Straße. Immer öfter sind die Täter noch Kinder.
Banden nutzen systematisch 13- bis 15-Jährige als Handlanger – für Drogen, Erpressung oder gar Auftragsmorde. Der Grund ist simpel: Wer nicht strafmündig ist, kann kaum belangt werden.
Die Regierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson will diesen blinden Fleck nun schließen – mit einer drastischen Reform.
Strafmündig ab 13 – ein europäisches Novum
Das Justizministerium hat angekündigt, das Strafmündigkeitsalter für besonders schwere Straftaten auf 13 Jahre zu senken. Die Maßnahme gilt als Kernpunkt der neuen Sicherheitspolitik. Kinder, die Raubüberfälle, Schießereien oder Morde begehen, sollen künftig in speziellen Jugendabteilungen untergebracht werden.
Diese Einrichtungen sollen in bestehenden Haftanstalten entstehen – zunächst mit 100 bis 150 Plätzen. Getrennt nach Geschlecht und Alter, wie Justizminister Gunnar Strömmer betont. Der Starttermin steht: Ab dem 1. Juli 2026 sollen die ersten Jugendlichen einsitzen.
„Wir müssen die Gesellschaft schützen – aber auch diesen Kindern eine Chance geben, aus der kriminellen Bahn herauszufinden“, sagte Strömmer. Für ihn ist das neue Gesetz weniger Rache als Prävention. Doch genau daran scheiden sich die Geister.
Zwischen Abschreckung und Kindeswohl
Menschenrechtsorganisationen und Kinderschutzverbände sehen die Pläne mit Sorge. Sie verweisen auf die UN-Kinderrechtskonvention, die besagt, dass Inhaftierungen von Minderjährigen nur das letzte Mittel sein dürfen. Schweden, das sich lange als Vorbild in Sachen Jugendpolitik verstand, riskiert nun einen Bruch mit diesem Selbstbild.
Auch Pädagogen warnen: Wer 13-Jährige einsperrt, statt ihnen Perspektiven zu geben, produziert keine Besserung – sondern Resignation. Doch in Teilen der Bevölkerung herrscht inzwischen ein anderer Ton. Laut Umfragen unterstützen viele Schweden härtere Strafen für jugendliche Täter, vor allem nach den jüngsten Bandenmorden in Malmö und Uppsala.
Eine Gesellschaft am Wendepunkt
Hinter der Reform steht mehr als nur Strafrechtspolitik – es ist ein kultureller Wendepunkt. Jahrzehntelang galt Schweden als Musterland sozialer Integration, als Gesellschaft, die Probleme mit Gesprächen statt mit Gittern löst. Diese Zeit scheint vorbei.
Die steigende Zahl an Schusswaffendelikten – 2023 waren es laut Polizei über 400 Vorfälle mit 62 Toten – hat das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat erschüttert. Besonders brisant: Über ein Drittel der Tatverdächtigen ist unter 18 Jahre alt.

Symbolpolitik oder Notwehr?
Kritiker werfen der Regierung vor, mit dem Gesetz vor allem Handlungsfähigkeit demonstrieren zu wollen. Der Schritt sei mehr Symbolik als Lösung, denn die Ursachen – Armut, Perspektivlosigkeit, Parallelgesellschaften – blieben unangetastet.
Doch für viele Bürger ist das Gesetz längst überfällig. Zu lange habe man weggeschaut, zu viele Kinder seien von Gangs vereinnahmt worden, ohne dass der Staat eingriff. Nun zieht Schweden eine rote Linie – spät, aber entschlossen.
Ein Experiment mit Signalwirkung
Mit der Herabsetzung der Strafmündigkeit betritt Schweden europäisches Neuland. Kein anderes Land der EU erlaubt Gefängnisstrafen für 13-Jährige. Was als Notmaßnahme gegen Bandenkriminalität gedacht ist, könnte zum Vorbild für andere Staaten werden, die mit ähnlichen Problemen kämpfen.
Ob die Reform wirklich wirkt, bleibt offen. Sicher ist nur: Sie markiert das Ende einer Ära. Schweden verabschiedet sich von seinem Ruf als sanftes, soziales Vorzeigeland – und wird zum Testlabor für eine neue Härte im Umgang mit Jugendkriminalität.


