Der amerikanische Arbeitsmarkt erlebt einen Paradigmenwechsel. Was während der „Great Resignation“ zur Maxime wurde – Wechseln, um mehr zu verdienen – hat sich binnen weniger Monate ins Gegenteil verkehrt.
Im "Big Stay", wie Analysten den Trend inzwischen nennen, sind die Lohnerhöhungen für diejenigen, die ihrem Arbeitgeber die Treue halten, inzwischen höher als für die Wechselwilligen. Ein seltenes Bild, das es in dieser Deutlichkeit zuletzt 2009 gab.
Wechselprämien verpuffen – und der Markt für Wechsler trocknet aus
Noch vor knapp zwei Jahren lag der Lohnzuwachs für Wechsler bei 8,5 Prozent, für Bleibende nur bei 5,9 Prozent. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Nach Berechnungen der Federal Reserve Bank of Atlanta wachsen die Gehälter für Bleibende schneller.
In den klassischen White-Collar-Sektoren wie Information, Telekommunikation, Recht, Beratung und IT betrugen die jährlichen Zuwächse zuletzt teils sechs Prozent.
Der Grund für die Kehrtwende ist simpel: Unternehmen heuern nur noch sehr selektiv. Wer den Sprung wagt, kann nicht mehr auf große Wechselprämien hoffen.
Stattdessen wird oft nur das Mindestnotwendige gezahlt, um Positionen überhaupt zu besetzen. Firmen halten ihr Stammpersonal, verzichten aber auf zusätzliche Neueinstellungen – eine riskante Gemütslage für Jobsuchende.
Weiße-Kragen-Arbeiter als neue Oberklasse
Die neuen Profiteure sind jene, die bereits gut verankert sind: Erfahrene Fachkräfte, die ihre Posten seit Jahren halten, profitieren von Lohnerhöhungen ohne Jobwechselrisiko.

Für Berufseinsteiger oder Jobwechsler hingegen wird es zunehmend eng. Der Anteil von Hochschulabsolventen, die Jobs unterhalb ihrer Qualifikation annehmen, steigt.
Selbst bei Berufseinsteigern sinkt die durchschnittlich akzeptierte Mindestvergütung deutlich: von 102.000 US-Dollar im November 2024 auf 95.000 Dollar im März 2025.
Die Schattenseite der Stabilität
Während also die etablierten Weiße-Kragen-Arbeiter ihre Gehaltssprünge realisieren, dürfte der Karriereaufstieg für viele jüngere Talente später beginnen – wenn überhaupt.
„Es kommen weniger rein und weniger raus“, konstatiert Guy Berger vom Burning Glass Institute. Das Gleichgewicht am Arbeitsmarkt kippt zugunsten der Älteren.
KI und Überangebot an Akademikern verschärfen die Konkurrenz
Neben der vorsichtigen Personalpolitik kommt ein zweiter Faktor hinzu: Der wachsende Pool an Hochschulabsolventen verschärft die Konkurrenz.
Gleichzeitig könnte Künstliche Intelligenz beginnen, erste Aufgaben in den klassischen White-Collar-Berufen zu übernehmen – auch wenn Experten hier bislang noch keine dramatischen Effekte sehen.
Wechsel lohnt nur noch für wenige – und mit viel Glück
Experten wie Cory Stahle vom Indeed Hiring Lab raten inzwischen zur Nüchternheit: Nur wenn ein Wechsel wirklich eine signifikante Karrierechance oder Gehaltserhöhung bietet, sollte man ihn wagen.
Andernfalls bleibt das Bleiben finanziell derzeit meist die sicherere Wahl.
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